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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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hast du mit ihr angestellt?«
    Melisandes Gedanken rasten. Nichts hatte sie angestellt. Kurz nach Sempach hatte sie gestern den Kerker verlassen. Da war alles in Ordnung gewesen. Was war nur geschehen?
    Sempach wartete einen Moment, starrte sie mit bohrendem Blick an, dann schlug er sich an den Kopf. »Du kannst ja nicht einmal reden, du Ausgeburt der Hölle, du Strohkopf, du Nichtsnutz!«
    Speicheltropfen flogen Melisande ins Gesicht, sie unterdrückte den Ekel und neigte ehrerbietig den Kopf.
    »Los! Komm! Schau es dir an!«, brüllte der Ratsherr und stieß die Tür zur Zelle auf.
    Melisande hob ihren Kopf, warf einen Blick ins Innere und zog scharf die Luft ein. Da lag die Magd in ihrem Blut, das Gesicht weiß wie Kalk. Melisande trat näher. Agnes hatte sich die Pulsadern aufgebissen. Deutlich waren die Zahnabdrücke zu sehen, ihr Mund war blutverschmiert.
    »Genug!«, wetterte Sempach. »Du hast genug gesehen. Morgen tritt der Rat zusammen. Du wirst dich für den Tod dieser Metze verantworten müssen. Und wenn es nach mir geht, wirst du bald eine Kostprobe deiner eigenen Kunst genießen. Geh mir aus den Augen! Und komm bloß nicht auf den Gedanken, dich zu verdrücken. Die Wachen haben Anordnung, dich zu töten, solltest du versuchen, die Stadt zu verlassen.«
    Melisande stolperte auf die Straße, die Sonne blendete sie, ein paar Schritte wankte sie nach rechts, dann nach links. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden geworfen und wäre nie wieder aufgestanden. Noch am Morgen hatte sie geglaubt, dass Ottmar de Bruce den nächsten Tag nicht erleben und sie endlich frei sein würde. Jetzt war sie diejenige, deren Leben womöglich verwirkt war.
    »Herr im Himmel«, flüsterte sie tonlos. »Ich vertraue auf deine unendliche Weisheit und Güte. Bitte verlass mich nicht. Denk an Raimund, der ohne mich nicht leben kann. Sei gnädig mit mir, um seinetwillen.«
    Sie taumelte durch die Gassen der Stadt, die seit achtzehn Jahren ihre Heimat war. Immer hatte sie sich hier sicher gefühlt, selbst als geächteter Henker. Doch jetzt hatte sich ihre sichere Zuflucht gegen sie gewandt und sie zur Feindin erklärt. Von einem Augenblick zum anderen war sie vollkommen schutzlos.
    Sie dachte an Agnes, diese verlorene Seele, die für ewig im Höllenfeuer schmoren würde, die so verzweifelt gewesen war, dass sie die schlimmste aller Todsünden begangen hatte: Selbstmord. Sich selbst zu töten wog schlimmer noch als der Mord an einem neugeborenen Säugling. Dafür hätte sie mit ihrer Hinrichtung büßen können, doch jetzt war ihre Seele unwiederbringlich dem Teufel überantwortet.
    Melisande wankte mehr, als dass sie ging, lenkte ihre Schritte zum »Eber« und ließ sich am Henkertisch nieder. Sie wollte nicht mehr nachdenken, sondern ihren Kummer im Meer des Vergessens ertränken. Eine Stimme in ihrem Inneren mahnte sie, an Raimund zu denken, der ahnungslos zu Hause im Bett lag und noch nicht einmal wusste, wie ihr Treffen mit de Bruce ausgegangen war. Sicherlich machte er sich wahnsinnige Sorgen. Doch sie hatte nicht die Kraft, ihm gegenüberzutreten.
    Der Wirt stellte ihr unaufgefordert einen großen Humpen Bier hin, den sie in einem Zug leerte. Es dauerte nicht lange, bis das Bier seine Wirkung entfaltete. Melisande seufzte, der Wirt brachte den nächsten Humpen. Sie trank, spürte, wie ihre Glieder sich entspannten, wie sich eine wohlige Müdigkeit in ihr ausbreitete. Erschöpft bettete sie ihren Kopf in die Hände, schloss die Augen und ließ sich vom Schlummer davontragen.
    Sie schreckte hoch, als sie etwas hörte, das sie nicht verstand und das dennoch ihre Gefühle verwirrte. Eine Stimme, die sie kannte, und zwei oder drei weitere, die sie nicht zuordnen konnte. Zuerst vermochte sie die einzelnen Wörter nicht zu unterscheiden, doch dann verzog sich der Nebel. Sie spitzte die Ohren, um das Flüstern zu verstehen. Es kam vom Nachbartisch, von dem aus man keinen Einblick in die dunkle Nische des Henkers hatte. Die Männer wähnten sich offenbar allein.
    »Du bist ja wirklich ein Glückskind«, sagte eine der unbekannten Stimmen.
    Leises Lachen war die Antwort.
    »Die Kleine war in der Tat ein saftiger Braten.« Wieder die gleiche Stimme.
    Irgendwelche Angeber, die sich Weibergeschichten erzählen, dachte Melisande und wollte schon weghören, da aber begann die bekannte Stimme zu sprechen.
    »Da könnt ihr drauf wetten. Herrliche Äpfel und ein Schoß, der niemals kalt wurde.«
    Melisande zuckte zusammen. Ihr wurde heiß und

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