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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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immer wieder.« Ihre Worte gingen unter in furchtbarem Geheul, einer Mischung aus Angst, Wut und Verzweiflung.
    Melisande spürte dennoch kein Mitleid. Agnes hatte gesündigt, und das gleich zweifach. Erst hatte sie sich einem Mann hingegeben, der nicht ihr Gatte war, und dann hatte sie die Frucht dieser Vereinigung getötet. Sie war eine unkeusche Verführerin und eine Kindsmörderin. Melisande nahm ihre Tafel. »Ich werde dir so lange Schmerzen bereiten, bis du gestehst«, schrieb sie darauf.
    Agnes glotzte verständnislos auf die Worte. Die geschriebenen Buchstaben waren ihr vermutlich genauso fremd wie die lateinischen Worte in der Messe.
    Kurz darauf kamen Sempach und der Schreiber zurück. Melisande legte Agnes die Daumenschrauben an und zog sie zu. Diesmal stieß Agnes einen langgezogenen, durchdringenden Schrei aus, anklagend und klagend zugleich. Aber sie gestand nicht.
    »Gut, gut«, sagte Sempach. »Los, hol den Helm und die Ratten, ich will sehen, wie das wirkt.«
    Melisande gehorchte. Den Helm stellte sie gut sichtbar vor Agnes hin. Hautfetzen klebten daran, aber es war keine Menschenhaut, sondern Hühnerhaut, die Melisande von dem Büttel hatte besorgen lassen.
    Agnes traten vor Entsetzen die Augen aus dem Kopf.
    Neben den Helm platzierte Melisande einen Käfig mit vier Ratten, die unruhig hin und her liefen, in die Luft schnupperten und neugierig die Nase zu Agnes drehten. Die Schnurrhaare zitterten, die schwarzen Augen der Tiere blinkten vorwitzig.
    »Weib!«, schrie von Sempach. »Die fressen dir die Haut vom Gesicht. Die beißen dir die Zunge heraus, aber vorher knabbern sie an deinen schmackhaften Pausbacken. Wenn sie davon genug haben, krabbeln sie dir den Hals hinunter und fressen dich von innen auf.«
    Als Agnes weiterhin schwieg, gab Sempach das Zeichen. Melisande setzte Agnes den Helm auf und ließ das Türchen vorne offen, damit die Mörderin jederzeit ihr Geständnis ankündigen konnte. Vorsichtig nahm sie die größte Ratte aus dem Käfig, schwenkte sie am Schwanz ein paarmal vor Agnes’ Augen hin und her. Gerade als sie das Tier in den Helm stoßen wollte, gab Agnes auf.
    »Ja!«, schrie sie. »Ja, ich habe es getan.«
    Die Ratte landete wieder im Käfig, Melisande schnallte den Helm ab und trat zurück.
    »Was hast du getan, du blöde Metze?« Sempach war wütend, nicht weil die Frau ihr Kind getötet hatte, das scherte ihn nicht. Er war wütend, weil sie so schnell klein beigegeben hatte und ihm das Vergnügen der Folter mit dem Rattenhelm entgangen war.
    Melisande schämte sich. Ihr Zorn auf Agnes war verraucht, plötzlich tat sie ihr beinahe leid.
    »Ich konnte doch nichts dafür.« Agnes wimmerte wie ein Säugling. »Ich wollte es nicht! Ich wollte es nicht!« Ihre Stimme wurde lauter und steigerte sich zu einem schrillen Quieken.
    »Was wolltest du nicht? Was hast du getan?«, schrie Sempach. »Antworte, oder der Helm wird deinen Kopf aufs Neue zieren, und zwar mindestens, bis der Nachtwächter seine erste Runde macht.«
    Hoffnung blitzte in Sempachs Augen auf, aber Agnes machte sie zunichte. »Als es herauswollte und mein Bauch zuckte und zuckte, bin ich in den Keller hinabgestiegen. Es hat furchtbar wehgetan. Gar nicht mehr aufgehört haben die Schmerzen, aber dann kam der Kopf, und schließlich hielt ich das blutige Ding in meinen Händen. Nichts hab ich gefühlt. Fremd war es und hässlich wie ein Zwerg. Es hat keinen Ton von sich gegeben, ich dachte, es sei tot. Da hab ich es geschüttelt, und mit einem Mal hat es losgebrüllt. Es durfte doch niemand etwas wissen, und so hab ich gefleht, es soll still sein, aber es hat weitergeschrien, immer lauter und lauter. Da hab ich meine Hand auf sein kleines Gesicht gelegt, ganz fest, und endlich war es still.«
    Sie holte tief Luft, aber bevor sie weiterreden konnte, donnerte Sempachs Stimme durch den Festsaal. »Und doch hat man dich entdeckt, du Ausgeburt der Hölle! Eins sage ich dir: Wenn du es wagst, irgendeinen ehrenwerten Mann zu bezichtigen, dich verführt zu haben, dann verspreche ich dir, dass das Gericht eine Strafe verhängen wird, die dich unendlich langsam töten wird. Man wird dich lebendig begraben. Schreiber! Habt Ihr alles notiert?«
    Der Mann nickte, packte sein Tintenfass, das Pergament und die Feder. Wie immer konnte Melisande keine Regung auf seinem Gesicht erkennen. Gebeugt schlich er hinter Sempach die Stufen hinauf. Der drehte sich noch einmal um: »Morgen tritt das Gericht zusammen. Schau, dass sie gut

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