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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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beisammen ist. Sie wird einen schweren Tag haben.«
***
    Der Nachmittag war schon weit fortgeschritten, und immer mehr Gäste strömten über die Zugbrücke. Freiherren, Ritter und Grafen mit Gattinnen und Gefolge trafen ein, Pferde mussten ausgespannt, Wagen untergestellt und erschöpfte Reisende mit Speis und Trank versorgt werden. Viele Adlige hatten sich prächtig herausgeputzt, die Frauen trugen nicht nur kostbare Ringe, sondern auch Haarspangen und Broschen von erlesener Schönheit. Manche verstießen mit ihrer Ausstattung gegen jede Kleiderordnung. Aber die vornehmen Familien scherten sich nicht um Regeln, sie achteten nur darauf, nicht die Farben zu tragen, die dem König vorbehalten waren.
    Wendel mischte sich unters Volk, nahm sich einen Humpen Bier von einem Brett, das zwei Diener durch die Menge trugen. Das Bier schmeckte würzig und erfrischend. Am Abend zuvor hatte Wendel noch für die ordnungsgemäße Lagerung der Fässer gesorgt und mit Mundschenk, Kämmerer und Kellermeister den Wein verkostet, der ohne Vorbehalte für ausgezeichnet befunden worden war. Gemeinsam mit einigen Kaufleuten, die ebenfalls zu Gast auf der Burg weilten, hatte er den lauen Sommerabend bei Würfelspiel und gutem Essen unter freiem Himmel verbracht, der Burgherr allerdings hatte sich nicht blicken lassen. Vermutlich war er mit der Bewirtung der vornehmeren Gäste vollauf beschäftigt gewesen.
    Wendel drehte sich langsam im Kreis und ließ den Blick schweifen. Wie eng so eine Burg war! Und wie einsam – wenn nicht gerade wie heute ein Fest gefeiert wurde. Im Winter konnte man wochenlang nicht fort, kein Wagen bewältigte im tiefen Schnee den steilen Anstieg, und auch im Sommer konnte man nicht einfach so das Wirtshaus, das Badehaus oder Freunde besuchen. Es gab keine Jahrmärkte, keine Festtage. Und in dem zugigen Gemäuer war es nicht einmal im Hochsommer richtig warm. Es war ein finsteres, eisiges Gefängnis. Wendel schauderte. Um nichts auf der Welt wollte er auf einer Burg wohnen! Wie anders war doch das Leben in der Stadt: In Reutlingen gab es fast viertausend Menschen, darunter viele, mit denen man an langen Winterabenden Schachzabel spielen konnte. In den Wirtsstuben traf man Kaufleute oder Pilger, die so manch interessante Geschichte von ihren langen Reisen zu erzählen wussten und die auch einem Würfelspiel um ein paar Pfennige nicht abgeneigt waren.
    Fanfaren erklangen, Ruhe kehrte ein. Während es sich die vornehmen Gäste auf der Tribüne bequem machten, suchte Wendel sich einen Platz auf einer der gepolsterten Holzbänke. Er kam neben einem dicken Mann zu sitzen, der sich als Landgraf Rüdiger von Darenstein vorstellte.
    De Bruce trat auf die Bühne, an der Hand führte er eine ältere Frau, die Wendel noch nie gesehen hatte. Er geleitete sie zu einem thronähnlichen Sessel, der einem König alle Ehre gemacht hätte, achtete darauf, dass sie bequem saß, rückte ihr die Kissen zurecht und hob ihre Füße auf einen Schemel. Ein Diener eilte herbei und hielt ihr mit gesenktem Kopf eine Schale mit Früchten hin. Erdbeeren lagen darin, Kirschen, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Äpfel und sogar ein Goldapfel, der aus den Ländern am Mittelmeer stammte.
    De Bruce wollte damit offenbar zwei Dinge deutlich machen: Er verehrte diese Frau sehr, und Geld spielte für ihn keine Rolle. Das musste Emelin sein, die Amme, deren Geburtstag heute gefeiert wurde.
    Der Graf ließ sich neben Emelin auf einem einfachen Hocker nieder. Das war Brauch bei der Brautschau und sollte zeigen, dass de Bruce als einfacher Mann angetreten war, der unabhängig von Reichtum und Stand seine Braut wählen wollte, ausschließlich um der Liebe willen, so wie es die Minne der Ritter vorschrieb. Das war natürlich ein Witz, denn de Bruce würde niemals unter Stand heiraten und damit Ruf und Lehen aufs Spiel setzen.
    Auch Wendel konnte sich nicht vorstellen, unter seinem Stand zu heiraten. Das wäre ein Verstoß gegen die gottgewollte Ordnung und damit eine Todsünde. Allerdings fragte er sich, wie man innerhalb eines Abends eine Wahl treffen konnte, die für ein ganzes Leben Gültigkeit haben sollte. Unwillkürlich seufzte er. Ottmar de Bruce hatte wenigstens eine Wahl! Rasch verscheuchte er den unliebsamen Gedanken und reckte den Hals. Jeden Augenblick musste das Spektakel beginnen.
    Endlich trat Richard von Alsenbrunn auf die Bühne, erklärte den Zweck der Feier, stellte de Bruce und Emelin vor, begrüßte alle anwesenden vornehmen Herren, einige

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