Henkerin
reiche Kaufleute. Er beendete seine Begrüßungsrede mit den Worten: »Zum Schluss möchte ich den ehrenwerten Karcher Wendel Füger willkommen heißen, dessen vorzüglicher Rebensaft uns allen heute Abend den Gaumen verzücken wird. Auf den Reutlinger Wein!«
Einige Gäste erhoben die Weinkelche, andere klatschten Beifall. Wendel spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Verlegen senkte er den Blick. Der Applaus ebbte ab, Stille trat ein. Von Alsenbrunn griff zur Harfe, ließ seine Finger über die Saiten laufen, der Klang füllte den Hof, Wendels Herz schlug schneller, und schon erhob sich die Stimme des Meistersängers, klar, kraftvoll und voller Leidenschaft.
Herrin, erlaubt mir, wenn es schicklich ist,
ein paar Worte an Euch zu richten.
Um Euretwegen lohnt es sich,
zu den Besten zu gehören.
Wisset, Ihr seid schön.
Besitzt Ihr, woran ich nicht zweifle,
außer Schönheit auch noch innere Vorzüge,
wie viel Rühmliches verkörperte sich dann in Euch allein!
Wendel schloss die Augen und fühlte sich davongetragen in eine andere Welt. Viel zu schnell war das Lied zu Ende, Applaus brandete auf, Hochrufe flogen von überall her zur Bühne.
Von Alsenbrunn verneigte sich immer wieder tief. »Verehrtes Publikum, hochwohlgeborene Gäste«, sagte er schließlich. »Ich danke Euch aus tiefstem Herzen. Aber nun, edle Gesellschaft, lasst uns zu unserer eigentlichen Aufgabe kommen, einer Aufgabe, die nicht minder ehrenwert ist als die Verzauberung der Menschen mit Liedern. Es gilt, eine Braut für den Grafen zu finden. Edle Jungfern, tretet vor!«
Nach und nach traten die Jungfrauen auf die Bühne. Jede stellte sich kurz vor und reichte dem Grafen ein Tuch, in das ihr Name eingestickt war. De Bruce würde nach Festmahl, Tanz, Schauspiel und Gesang das Tuch der Erwählten über seinem Kopf schwenken und auf diesem Weg ihr und der Festgesellschaft zeigen, dass sie die Glückliche war.
Wendel versank in Gedanken. Die immer selben Beteuerungen der angehenden Bräute langweilten ihn schnell. Alle waren natürlich unberührt, willig und gehorsam und so weiter und so fort. Diese Eigenschaften mochten bei einer Kuh oder einem Hund nützlich sein, nicht jedoch bei einer Gefährtin, mit der man sein Leben teilen wollte. Er dachte an seine eigene Braut, die sein Vater ihm ausgesucht hatte. War sie nicht auch so? Willig, brav und gehorsam? Vermutlich. Er seufzte, langte nach einem weiteren Humpen Bier und nahm sich vor, für heute nicht mehr daran zu denken.
Er wandte sich seinem Sitznachbarn zu, der sich als feinsinniger Genießer entpuppte, der nicht nur bewandert war in allen Dingen, die aus Küche oder Keller kamen, sondern auch alle namhaften Sänger und einen großen Teil deren Lieder kannte. Sie waren sich einig, dass niemand Richard von Alsenbrunn das Wasser reichen konnte und dass Ottmar de Bruce ein wichtiger und großer Förderer der schönen Künste war. Die Grafen, bei denen de Bruce schlecht gelitten war und die deshalb dem Fest ferngeblieben waren, gingen fehl in ihrem Urteil und verkannten die wahren Vorzüge dieses ungewöhnlichen Mannes.
De Bruce sparte wahrhaftig an nichts. Fackeln wurden entzündet, Holzbrenner entfacht, die Bühne wurde von Dutzenden Brennnäpfen und sündhaft teuren Bienenwachskerzen erleuchtet. Wendel ließ sich von der Stimmung des Abends hinwegtragen und leerte mehr Humpen Bier, als er vertragen konnte.
***
Melisande warf einen weiteren Holzscheit in die Flammen und ließ sich auf dem Schemel vor dem Kamin nieder. Es war weit nach Mitternacht, Raimund schlief längst, doch sie selbst verspürte keine Müdigkeit. Nur noch wenige Stunden, und sie würde Ottmar de Bruce gegenüberstehen, ihm die tödliche Verletzung beibringen, ihre Familie rächen.
Den ganzen Tag hatte sie mit Vorbereitungen verbracht. Nerthus präpariert, die Bewegung einstudiert, mit der sie de Bruce wie zufällig einen kleinen Kratzer am Arm zufügen wollte. Einen todbringenden Kratzer. Leicht sollte es aussehen, nicht die geringste Absicht durfte daraus abzulesen sein. Zu gern würde sie sich de Bruce zu erkennen geben, sobald sie wusste, dass er nicht mehr zu retten war. Doch das durfte sie nicht. Es war zu gefährlich. Nicht um ihr eigenes Leben fürchtete sie, sondern um Raimunds. Ohne sie würde er elend sterben.
Das Holz knackte, Funken stoben auf. Melisande schloss die Augen und genoss die Wärme des Feuers auf ihrer Haut. Sie trug nichts außer ihrer weißen Cotte, fühlte sich leicht und frei wie
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