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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Nebel war vor seinen Augen aufgestiegen. Niemanden, der es wert war, seinen Namen zu tragen? Wie konnte dieser jämmerliche Weinpanscher es wagen, seinen Sohn so zu entehren? Gernot de Bruce war als Held gestorben, als er die Familienehre gegen Konrad Wilhelmis verteidigt hatte!
    Wie gerne hätte de Bruce das Schwert gezogen und diesen erbärmlichen Karcher von seinem Gaul gezerrt und auf der Stelle einen Kopf kürzer gemacht! Er war sogar bereits einen Schritt auf ihn zu getreten, hatte aber im letzten Augenblick einen warnenden Blick aus Eberhard von Säckingens blauen Augen aufgefangen. Fast übermenschliche Kraft hatte es ihn gekostet, die Hand vom Schwert zu lösen. Doch von Säckingen hatte recht gehabt. Wenn er den Reutlinger an Ort und Stelle niedergestreckt hätte, vor all den Zeugen, hätte das fatale Folgen gehabt. Im Nachhinein betrachtet war es so noch viel besser: Wendel Füger würde für seine ungeheure Beleidigung mit dem Leben bezahlen. Und davor würde er derart leiden, dass er um seinen Tod betteln würde.
***
    Wendel Füger fuhr erschrocken hoch, als etwas Pelziges über sein Gesicht strich. Eine Ratte! Er fuchtelte mit den Händen, um das Vieh zu vertreiben, das mit einem Fiepen zurückzuckte. Es machte einen Satz auf den Boden und trippelte in eine dunkle Ecke, wo es vermutlich nur darauf wartete, dass er wieder einnickte.
    Als man ihn hierhergebracht hatte, hatte er nicht glauben wollen, dass das alles tatsächlich geschah. Nicht einmal die Hölle konnte furchtbarer sein. Der Kerker stank nach Exkrementen und Tod wie kein anderer Ort, an dem Wendel je gewesen war.
    Außer ihm hockten noch zwei Männer auf dem mit fauligem Stroh ausgelegten Steinboden. Ein Alter mit dürrem weißen Haar, abgemagert bis auf die Knochen, der mit leerem Blick vor sich hin starrte und sabberte, und ein junger Bursche, der sich ständig kratzte und ihn keinen Herzschlag lang aus den Augen ließ. Wendel traute weder dem einen noch dem anderen. Auch wenn man ihm seine Habseligkeiten abgenommen hatte, fürchtete er doch, einer seiner beiden Kerkergenossen könne über ihn herfallen und ihm die Kleider rauben, wenn er einschlief. Nein, er durfte nicht wieder einnicken und sich damit diesen beiden Widerlingen ausliefern, ganz zu schweigen von den Ratten und dem anderen Ungeziefer, das den Raum mit einem ständigen Rascheln und Knistern erfüllte.
    Suchend blickte sich Wendel um. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Es war dunkel, nur eine Fackel im Gang sorgte für dämmriges Licht, das jedoch nicht bis in alle Winkel reichte. Manchmal glaubte er aus der Ecke zu seiner Linken ein kaum vernehmbares Stöhnen zu hören, aber es war gut möglich, dass er sich das Geräusch nur einbildete. Der Kopf des Alten war auf die Brust gesunken, vermutlich war er eingeschlafen. Der Junge aber starrte unverwandt zu ihm herüber.
    Was war nur geschehen? Wendel versuchte, sich zu erinnern. Er hatte stundenlang dagesessen, sein Schicksal verflucht, in seinem Gedächtnis gekramt, um sich zusammenzureimen, was passiert sein mochte, wieder und wieder, doch ohne Ergebnis. Irgendwann hatten ihn zuerst Durst und dann Hunger gequält, doch niemand war gekommen, um den Gefangenen etwas zu trinken oder zu essen zu bringen. Der Hunger war nach einiger Zeit einem dumpfen, flauen Gefühl im Magen gewichen, doch der Durst war geblieben und steigerte sich von Stunde zu Stunde. Immer wieder musste Wendel die Gedanken an einen Becher kühlen Weins verdrängen, Bierhumpen tanzten vor seinen Augen, manchmal glaubte er gar, das Plätschern einer Quelle zu hören.
    Später hatte er das Bedürfnis verspürt, den Abort zu besuchen, doch eine solche Einrichtung gab es in dem Verlies nicht. Nicht einmal einen Eimer, in den man seine Notdurft verrichten konnte. Wendel hatte gezögert, bis er es nicht mehr aushielt, dann hatte er sich erhoben, war in die hinterste Ecke getreten und hatte sich erleichtert.
    Er zuckte zusammen. Auf dem Gang waren Schritte zu hören. Hoffnung flackerte in ihm auf. Sie kamen ihn holen, um ihn freizulassen! Das Missverständnis hatte sich geklärt. Sie würden sich bei ihm entschuldigen, ihm seine Sachen aushändigen und ihn gehen lassen.
    Die Schritte verhallten, ohne dass irgendjemand sich dem Kerker genähert hätte. Wendel senkte den Kopf. Angst kroch in seinen Eingeweiden hoch wie ein wucherndes Geschwür. Sein Hals wurde eng. Was, wenn sich der Irrtum nicht aufklärte? Wenn dieser merkwürdige dürre Henker ihn

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