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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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mischten sich Verwirrung, Angst und eine stumme Bitte.
    »Melchior!« Konrad Sempachs Stimme ließ Melisande erneut zusammenzucken. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass du dem jungen Mann sein verlorenes Gedächtnis zurückgibst.«
    Während sie ihre Tasche ablegte und sich bereit machte, überlegte Melisande fieberhaft. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, den Herren zu zeigen, was sie wusste, ohne dass sie sich selbst dabei verriet. Sie begann damit, dem Karcher die einzelnen Geräte vorzuführen, die Zange, die Daumenschrauben, den Rattenhelm. Der schüttelte nur immer heftiger den Kopf, doch er gestand nicht. Schließlich zeigte Melisande den beiden Richtern und dem Ratsherrn an, dass sie etwas Neues ausprobieren wollte, und deutete auf das Messer des mutmaßlichen Mörders, an dem noch immer Reste von Blut klebten.
    »Was hast du vor, Melchior?«, fragte Sempach.
    Sie griff nach Tafel und Griffel und schrieb ein einziges Wort darauf: »Riemenschneiden«.
    Sempach nickte und grinste.
    Beim Riemenschneiden wurden schmale Streifen Haut herausgeschnitten, eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit. Doch wenn Melisande sich nicht irrte, würde sie nicht weit gehen müssen. Sie trat auf den Mann zu und setzte die Messerspitze an dessen linkem Unterarm an, der fest an die Armlehne des Throns geschnallt war. Mit einem schnellen Schnitt ritzte sie die Haut auf. Blut quoll aus der frischen Wunde. Doch noch bevor sie weiterschneiden konnte, stöhnte der Karcher auf, und sein Kopf sank zur Seite.
    »Was ist los?«, rief von den Fildern und sprang erschrocken hinzu. »Was hast du mit ihm gemacht, Melchior?«
    Melisande hob beruhigend die Hand. »Ohnmächtig«, schrieb sie auf ihre Tafel.
    »Dieser Schwächling«, stieß Sempach verächtlich hervor. »Los, Meister Hans, mach ihn wach! Wir sind noch nicht fertig mit ihm.« Er deutete auf einen Eimer Wasser, der in der Ecke des Kerkers stand.
    »Warte!« Enders von den Fildern packte Sempach am Arm. »Wir sollten eine Pause machen.«
    »Wieso?«, blaffte Sempach. »Nur weil er so zimperlich ist? Der Kerl ist ein Mörder. Er hat den Sohn eines ehrenwerten Esslinger Bürgers getötet. Ihm muss der Prozess gemacht werden, und zwar unverzüglich.«
    »Ja, sicher«, antwortete von den Fildern. »Aber wir müssen mit Bedacht vorgehen.«
    »Enders hat recht«, meldete sich Henner Langkoop zu Wort und trat ins Licht. »Nur nichts überstürzen. Wir haben diese Woche schon eine Sünderin verloren, bevor ihr der Prozess gemacht werden konnte. Das darf nicht noch einmal passieren. Und dieser Mann ist keine einfache Magd, nach der kein Hahn kräht, sondern ein angesehener Bürgersohn aus Reutlingen. Wir dürfen uns ihm gegenüber nichts zu Schulden kommen lassen.«
    Sempach schnaubte immer noch unwillig. »Das mit der Magd war nicht unser Fehler«, maulte er und warf Melchior einen verdrießlichen Blick zu. »Aber meinetwegen soll das Bürschchen sich ausruhen. Und du –« Er deutete mit dem Finger auf Melisande. »Du lässt ihn nicht aus den Augen. Sorge dafür, dass es ihm gutgeht. Du haftest mit deinem Leben für sein Wohlergehen. Verstanden?«
    Melisande nickte.
    Die Männer verließen den Thronsaal, nur ein Büttel blieb zurück. Melisande bedeutete ihm, vor der Kerkertür zu warten. Als sie mit dem Ohnmächtigen allein war, betrachtete sie ihn eine Weile.
    »Es tut mir leid, fremder Karcher«, sagte sie tonlos zu ihm. »Ich dachte, sie würden begreifen, wenn sie es mit eigenen Augen sehen. Aber sie sind blind. Ich weiß, dass Ihr es nicht gewesen sein könnt. Ihr wäret nicht dazu in der Lage, einen Menschen auf diese Weise zu töten. Nicht mit einem Dutzend Messerstichen. Nach einem einzigen schon würdet Ihr wie ein gefällter Baum umstürzen, genügt doch ein Tropfen Blut, um Euch die Sinne zu rauben. Das habe ich schon bei unserer ersten Begegnung auf der Brache bemerkt. Aber ich kann Euch nicht helfen. Ich kann nicht für Euch sprechen. Selbst wenn ich es wagen würde, mein Wissen den Richtern anzuvertrauen, einem Henker würde niemand glauben. Ich kann nicht verhindern, dass Ihr für das Verbrechen eines anderen gehenkt werdet. Ich selbst werde Euch wohl die Schlinge um den Hals legen müssen.« Sie presste die Lippen aufeinander. »Vielleicht ist das Eure Strafe dafür, dass Ihr Euch mit Ottmar de Bruce eingelassen habt.«
    Sie nahm ein Stück Leinen und wickelte es um die Schnittwunde an seinem Arm. Dann spritzte sie ihm etwas Wasser ins Gesicht.
    Er fuhr zusammen, murmelte

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