Henkersmahl
hatte, hatte er zunächst geglaubt, er leide unter Halluzinationen. Vor ihm stand genau der Mann, den er bereits vom Foto aus Max’ Wohnung und dem Foto aus der Holzkiste kannte. Auf denen sah Fresemann zwar 30 Jahre jünger aus, aber die Ähnlichkeit war trotz der grauen Haare und der Falten unverkennbar.
Glücklicherweise hatte Florian jahrelang den Ball ganz gut über das Netz gebracht, und nun spürte er, wie der Kampfgeist erneut in ihm erwachte. Er würde alles dafür tun, Fresemann auf dem Platz in die Knie zu zwingen.
Während Florian nach vorn ans Netz sprintete, um Fresemanns Stoppball abzuwehren, bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass seine Mutter, die auf einer Bank am Rand des Tennisplatzes saß, gebannt zu ihnen hinüberblickte und sie aufmerksam beobachtete.
Mit zwei dicht aufeinander folgenden Schmetterbällen entschied Florian das Spiel im dritten Satz für sich.
»Glückwunsch.« Fresemann war außer Atem. Er kam nach vorn ans Netz und reichte Florian die Hand. Lachend sagte er: »Normalerweise gewinne ich.«
»Revanche?«, fragte Florian angriffslustig.
»Einverstanden. Nächste Woche?« Fresemann wischte sich mit einem Handtuch über das schweißnasse Gesicht und Florian nickte.
»Ich würde Sie gern zu einer Schorle einladen. Die Gastronomie hat doch geöffnet?« Florian wandte sich fragend an Marie-Louise. Sie nickte.
»Gute Idee«, erwiderte Fresemann. »Aber du kannst mich ruhig duzen. Schließlich kenne ich deine Mutter schon eine Ewigkeit. Im Klubhaus haben wir ja gleich Gelegenheit, dich aufzuklären, nicht wahr, Marie-Louise?«
Sie nickte.
»Habe mir heute trotz einer Pressekonferenz, auf der ich normalerweise präsent sein müsste, freigenommen, um mir endlich einmal ein verlängertes Wochenende zu gönnen. Aber Gott sei Dank gibt es einen zweiten Geschäftsführer, und der wird mich vertreten.«
Florian schluckte, sagte aber zunächst nichts davon, dass er der besagten Pressekonferenz beiwohnen würde.
Fresemann wischte sich mit dem Arm über die Stirn. »Die letzten Tage waren anstrengend.«
Florians Mutter erhob sich von der Bank und reichte Jörg Fresemann eine Wasserflasche, aus der er gierig mehrere Schlucke trank.
Mit gesenktem Kopf murmelte Florian: »Das kann ich mir denken.«
»Wieso?« Fresemann reichte Florian die Wasserflasche und sah ihn prüfend an.
»Als Geschäftsführer eines großen Milchwerks, dessen neueste Produktentwicklung im Fokus polizeilicher Untersuchungen steht, hast du sicher in den letzten Tagen keine ruhige Minute gehabt.«
»Hat sich unser Name also doch schon herumgesprochen?«
Fresemann bückte sich hinunter zu seiner Sporttasche und verstaute eine Dose mit Tennisbällen darin.
»In meinem Job bekommt man so manches mit.«
»So? Was für einen Job hast du denn?«
»Ich bin Redakteur bei Diens-Talk. Da die Situation in Köln und Umgebung momentan sehr prekär ist, denken wir darüber nach, eine Sendung über die dubiosen Krankheitsfälle zu machen.«
»Na, dann seht mal zu, dass euch nichts von Bedeutung durch die Maschen geht«, sagte Fresemann generös. »Unser Frischkäse ist einwandfrei, das steht fest. Aber wenn du willst, können wir gleich im Klubhaus darüber reden. Jetzt brauche ich erst einmal eine kühle Dusche.« Er entfernte sich und nahm ein Schleppnetz auf, das auf dem Boden lag und dazu diente, den Ascheplatz abzuziehen, um ihn für die nächsten Spieler vorzubereiten.
Nachdem Florian noch einen großen Schluck aus der Wasserflasche genommen und sie Marie-Louise wieder in die Hand gedrückt hatte, griff auch er zum Schleppnetz. Als beide Seiten des Tennisplatzes von ihren Fußspuren befreit waren und der rote Ascheplatz so ebenmäßig aussah, als sei heute nicht auf ihm gespielt worden, folgte er, seine Sporttasche in der Hand, Jörg Fresemann zu den Waschräumen, während seine Mutter gekonnt ins Klubhaus humpelte.
Jörg Fresemann war 66. Das wusste Florian von Marie-Louise, außerdem hatte er sich im Internet schlau gemacht, aber erstaunlicherweise sah man Fresemanns Körper das Alter nicht an. Er war schlank geblieben und durchtrainiert. Das grau melierte Haar unterstrich seine markanten Gesichtszüge sowie das dunkle Blau seiner Augen auf das Vorteilhafteste. Während er sich unter der Dusche einseifte und wohlig das Gesicht unter den warmen Wasserstrahl hielt, beobachtete Florian ihn verstohlen. Der Mann sah gut aus. Florian war sich sicher, dass die Frauen auch heute noch auf ihn flogen.
Er blickte
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