Henkersmahl
Augen hatte er zugehört, wie dieser erklärte, dass Yvonne Kosuczek in der vergangenen Nacht gestorben sei. Freunde hatten sie am frühen Morgen tot in ihrer Wohnung gefunden. Sie habe 0,8 Promille im Blut gehabt. Es gebe allerdings keinen Hinweis darauf, dass Alkohol ihren Tod ausgelöst habe, auch wenn die Tatsache, dass alle Todesopfer Alkohol getrunken hatten, alarmierend sei, wie die Polizei einräumte. Die Opfer hätten aber auch allesamt Brot und Butter gegessen und Kaffee getrunken.
Florian Halstaff lehnte sich tief in den Sitz zurück und überlegte, ob die Polizei wusste, dass Peter Mallmann, Yvonne Kosuczek und auch Max Kilian Kontakt zu Daniel Fletters gehabt hatten. Auf der Pressekonferenz war über den Schreiner aus Dernau jedenfalls kein Wort verloren worden. Florian fand es immerhin beruhigend, dass er sich gestern nach dem Glas Wein bei Yvonne Kosuczek topfit gefühlt hatte, aber warum war sie jetzt tot? Seine Augen fokussierten den blond gelockten, flaumigen Nacken von Sylvia Gerlach, während vor seinem inneren Auge das Bild von Yvonne Kosuczek auftauchte. Er atmete tief durch. Sie war so jung gewesen, so hübsch, und nun sollte sie tot sein. Der Gedanke, wie schnell der Tod einen jeden von uns völlig unerwartet ereilen konnte, ließ ihn nicht los. Er stellte sich vor, wie sie in einem langen weißen Kleid in einem gläsernen Sarg lag, das bleiche Gesicht eingerahmt von dunkelroten Locken. Leider würde kein Prinz kommen, um sie wachzuküssen. Florians Blick wanderte wieder hinaus aus dem Wagenfenster. Er fragte sich, wen es als Nächsten erwischen würde und spürte, wie sich der Henkel des Präsentkorbs tief in seine Handfläche drückte.
Der Wagen wurde langsamer. In einer weiten Kurve fuhr er vor dem Dienstgebäude der Polizei vor und kam schließlich zum Stehen. Rössner öffnete schwungvoll die hintere Wagentür und steckte seinen Kopf in das Innere des Wagens. Florian kam sich mit dem Korb in der Hand auf einmal vor wie Rotkäppchen, das gleich vom bösen Wolf verschlungen werden würde. Er zwängte sich aus dem Auto und drückte Sylvia Gerlach, als er wieder festen Boden unter sich hatte, den Korb in die Hand, froh, ihn endlich los zu sein. Etikette hin, Etikette her. Im Wagen hatte er den Inhalt wohl zum 50. Mal überprüft, ein Rotwein, geschweige denn ein Wein von der Ahr, befand sich nicht darin.
»Den bringe ich gleich zu den Kollegen von der Spurensicherung«, sagte Sylvia Gerlach.
»Erst kommt er mal mit in unser Büro«, korrigierte Rössner und ging Florian und der Kommissarin, die ihren Kollegen um eine Kopflänge überragte, mit sicherem Schritt voraus durch die breite Eingangstür in das imposante, moderne Polizeigebäude am Walter-Pauli-Ring in Köln Kalk. In der spärlich möblierten Eingangshalle kam ihnen allerdings ein Schwall stickiger Heizungsluft entgegen, die den Mief verstaubter Akten in sich trug. Marco Rössner schien mit jedem Schritt in das Gebäude um einige Zentimeter zu wachsen. Kein Wunder, dachte Florian, während er auf Rössners breiten Rücken blickte. Der Leitwolf kehrt in seine Höhle zurück.
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf in den vierten Stock und Marco Rössner öffnete kraftvoll die Tür zu seinem Büro. Florian betrat einen hellen, knapp 20 Quadratmeter großen Raum, der von zwei schlichten, ahornfarbenen Schreibtischen dominiert wurde, die sich gegenüberstanden. Hellgraue Wandschränke verbargen Arbeitsmaterial und Aktenordner, und Florian wunderte sich nicht darüber, dass in dieser lichten Atmosphäre auf einer Fensterbank Grünpflanzen gediehen. Sie sahen aus, als kämen sie geradewegs aus dem brasilianischen Dschungel. Ihr Grün leuchtete in kräftigen Tönen.
»Ganz schön schwer, das Ding.« Ächzend wuchtete Sylvia Gerlach den Präsentkorb auf einen der beiden Schreibtische, während Rössner Florian auf einem Holzstuhl Platz anbot. Florian kam der Aufforderung nicht sofort nach, denn ein an einer Pinwand befestigter riesiger Stadtplan hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Interessiert betrachtete er die darin steckenden, farbigen Pfeilspitzen.
»Die Wohnorte der Kölner Opfer?« Er sah sich über die Schulter nach Rössner um, der, ohne zu antworten, seinen Mantel auszog und ihn in einen schmalen Schrank in der Zimmerecke hängte. Rössners Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass es sinnlos war, die Frage erneut zu stellen. Aus einem Grund, der ihm selbst nicht klar war, fühlte Florian sich veranlasst zu sagen: »Als
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