Henkersmahl
nicht?«
»Spielst du auf die Affäre um Fresko und Hagebiel-Nord an?« Fresemann blieb ruhig. »Es gehört wohl zu deinem Job, dass du so harsch fragst?« Ohne eine Antwort abzuwarten, lenkte er ein. »In der Tat, das war eine schlimme Sache damals. Mertens, der zweite Geschäftsführer, hatte Angebote vom regionalen Anbieter gefälscht und dafür von Hagebiel-Nord, die zu unserem Hauptlieferanten wurden, eine dicke Provision kassiert. Als das alles herauskam, hatte ich als erster Geschäftsführer enorm zu kämpfen. Ohne Rückendeckung aus der Firmenzentrale hätte ich das nicht durchgestanden. Normalerweise hätten die mich in Rente geschickt.«
»Und jetzt?« Florian sah ihn an.
»Jetzt mache ich noch ein halbes Jahr weiter. Dann verabschiede ich mich aus dem Konzern und gehe in Rente. Natürlich arbeitet unsere Entwicklungsabteilung bereits auf Hochtouren an einem anderen Frischkäse, der ebenso gut schmeckt wie der jetzige.«
»Du weißt, dass Glutamat nicht gerade den besten Ruf genießt? In hoher Dosierung kann es krebserregend sein.«
»Mir ist nichts bekannt. Gut, wir wissen, dass Glutamat in hoher Dosierung krebserregend sein kann, aber, wie gesagt, in der Konzentration, die wir verwenden, ist das ganz und gar ausgeschlossen.«
»Nie irgendwelche Zweifel gehabt?« Florian sah Jörg Fresemann prüfend an.
»Nein. Es gab schließlich wissenschaftliche Untersuchungen mit beruhigenden Ergebnissen. Wie lange machst du den Job eigentlich schon?«
»Knapp ein Jahr. Leider ist mein bester Freund, Redaktionsleiter bei Profi Entertainment, gerade gestorben. An ungeklärter Ursache, scheint es, und ich versuche herauszufinden, was dahintersteckt.«
»Oh, das tut mir leid.« Fresemann blickte ihn betroffen an. »Meinst du nicht, dass das eher ein Job für die Polizei ist? Du solltest solche Dinge besser denjenigen überlassen, die das hauptberuflich machen.«
»Danke für den guten Rat«, antwortete Florian gelassen und wandte sich unmittelbar an seine Mutter: »Wie geht es Marianne?«
»Ich glaube, sie fängt sich langsam wieder«, antwortete Marie-Louise, die dem Dialog ihres Sohnes mit Fresemann aufmerksam gefolgt war. »Ich habe sie heute Nachmittag zu mir zum Kaffee eingeladen.«
»Schön. Grüße sie doch bitte von mir.« Florian erhob sich. Während sich ein ironisches Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, sagte er bedauernd: »Ich fürchte, ihr müsst euch nun allein amüsieren.« Marie-Louise Halstaff und Jörg Fresemann sahen ihn erstaunt an. »Ich muss los. Die Pressekonferenz beginnt pünktlich um 14 Uhr.«
32
Yvonne Kosuczek ist tot, hämmerte es ununterbrochen in Florian Halstaffs Kopf, als er sich im Polizeiwagen auf dem Weg von der Pressekonferenz zur Polizei befand.
Yvonne Kosuczek. Tot. Wie Max. Jetzt waren es insgesamt vier Tote und 46 Kranke. Die Schokolade und der Frischkäse waren unverdächtig, das hatten sie nun endlich auch auf der Pressekonferenz bekannt gegeben. Fresko Frischkäse könne höchstens allergischen Juckreiz und Durchfall auslösen. Ein bisschen musste Florian grinsen, als er an die sauertöpfischen Mienen der Beamten dachte, die froh waren, wenigstens das herausgefunden zu haben.
Diverse Printmedien waren vertreten gewesen, das Regionalfernsehen ebenso wie Journalisten von Stern, Spiegel und Focus sowie etliche große Fernsehsender. Damit hatten die Krankheitsfälle nun endgültig eine weit über Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hinausgehende Dimension erhalten, der ab sofort die gesamte Republik ihre Aufmerksamkeit widmen würde.
Florians Gedanken flogen zurück zu Yvonne Kosuczek. Er hatte sie nur einmal getroffen, aber ihre Persönlichkeit hatte ihn tief berührt.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?« Kriminalhauptkommissar Marco Rössner, ein drahtiger, kleiner Mann mit bereits ergrautem, streichholzkurzem Haar und stechenden grauen Augen, den Florian auf nicht größer als 1,70 Meter schätzte, drehte sich vom Beifahrersitz zu ihm um. Florian saß hinten, seine rechte Hand umklammerte den Henkel des Präsentkorbs.
»Alles in Ordnung«, antwortete er, während seine Augen denen von Sylvia Gerlach, Rössners junger, blonder Mitarbeiterin, im Rückspiegel begegneten. Er sah wieder hinaus auf die Straße, auf die Geschäftigkeit der Menschen, ohne sie jedoch wirklich wahrzunehmen.
Als Marco Rössner auf der Pressekonferenz den Namen von Yvonne Kosuczek als neuestem Todesopfer genannt hatte, war Florian schwindlig geworden. Mit geschlossenen
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