Henkersmahl
Florian. »Daniel Fletters soll schöne Tische bauen.«
»Die Miete ist er mir schuldig, schon seit drei Monaten«, schimpfte die Alte. »Zeiten sind das. Aber versuchen Sie es mal auf dem Nippeser Markt in Köln, vielleicht haben Sie Glück und finden ihn dort.« Ohne ein weiteres Wort schloss sie das Fenster. Mit zittriger Hand zog die alte Frau die Gardine zu und verschwand in der Tiefe des Raumes.
Die beiden sahen sich perplex an. Florian angelte den Ortsplan aus seiner Jackentasche, faltete ihn auseinander, zeigte nach links und sagte entschlossen: »Zu Schäfer geht es hier entlang. Er ist einer der kleineren Winzer hier, mit dem fangen wir an.«
Nachdem er mehrfach ergebnislos den schmiedeeisernen Türklopfer betätigt hatte, stemmte er sich mit der Schulter gegen das große grüne Hoftor.
»Pass auf, dass du dir deine zarten Knochen nicht brichst«, flüsterte Jana.
Florian grinste.
Sie sahen sich prüfend um und hofften, dass niemand sie beobachtete, immerhin waren sie gerade im Begriff, sich unerlaubt Zutritt zu einem fremden Grundstück zu verschaffen. Mit einem leisen Knarren gab das Tor nach. Jana folgte ihm auf den grau gepflasterten Hof, auf dem mehrere verrostete Schubkarren herumstanden. Einige waren gefüllt mit verrottendem Laub und Erde, andere enthielten Steine, die ganz offenbar für den Bau der Mauer herbeigeschafft worden waren, die die Grenze zum Nachbargrundstück bildete. Außer ihnen beiden war kein Mensch weit und breit zu sehen.
Linkerhand lag ein Wohnhaus. Auf dem sehr alt wirkenden und tief heruntergezogenen, an manchen Stellen verkürzten Dach wuchs Moos. Eine Hundehütte befand sich rechts vom Haus, sie war leer, doch ein halb mit Wasser gefüllter Napf und eine auf dem Boden liegende lange Kette mit kräftigen Gliedern wiesen darauf hin, dass hier ein großer Hund lebte.
»Ich sehe das Ungeheuer direkt vor mir«, sagte Jana.
»Keine Angst. Man nennt mich auch den Hundeflüsterer«, raunte Florian und gab ihr ein Zeichen, ihm zum Wohnhaus zu folgen. Die Brust durchgedrückt, ging er voran. Kaum hatten sie die Haustür erreicht, öffnete sie sich und heraus trat ein Mann Mitte 50 in angeschmutzter, schwarzer Cordhose und dunkelgrüner Strickjacke, knapp zwei Meter groß und kräftig. Ihm folgte ein Mann, der im Vergleich einen wesentlich gepflegteren Eindruck machte. Florian fiel unter dem offen getragenen Trenchcoat eine breite, dunkelgrau und orange gestreifte Krawatte ins Auge, die auf die modischen Ambitionen ihres Trägers verwies.
»Wie sind Sie denn hereingekommen?«, fragte der Mann in Cordhose unfreundlich.
»Das Tor stand offen, und da dachten wir …« Florian sah ihn unschuldig an, streckte die Hand aus, stellte sich und Jana vor und sagte: »Wir arbeiten für Diens-Talk und planen eine Sendung über Winzer an der Ahr.«
»Diens-Talk?« Der städtisch aussehende Mann strich sich über seine spärlichen grauen Haare und trat einen Schritt vor. Florian schätzte ihn ebenfalls auf Mitte 50.
»Die wöchentliche Talkshow«, erklärte Jana. »Haben Sie doch sicher schon einmal gesehen. Jeden Dienstag von 21 bis 22 Uhr.«
»Ist mir ein Begriff«, erwiderte der Mann kurz angebunden.
»Es war doch neulich erst ein Kollege von Ihnen hier, vor einer Woche«, sagte der Cordhosenträger.
Florian wurde blass. »Max Kilian?« Hier waren sie also richtig.
»Ja, so hieß er, glaube ich. Wollte auch mit mir über eine Sendung zum Thema Weinbau sprechen. Warum kommen jetzt Sie ?«
»Max Kilian ist leider verhindert«, antwortete er schnell.
Ihm fiel auf, dass Jana heftig mit den Augen blinzelte, als sie langsam hinzufügte: »Er ist tot.«
Beide Männer starrten Jana an. Niemand sagte ein Wort, bis sich der Mann in Cordhose laut räusperte und fragte: »Und wie soll die Sendung über Ahr-Winzer aussehen?«
Seinem Verhalten nach zu urteilen, war er offensichtlich der Hausherr. Florian wunderte sich darüber, dass keiner der beiden sein Beileid aussprach.
»Wir führen Interviews mit größeren und kleineren Winzern durch, um zu erfahren, wie ein Weinbauer hier so lebt. Welche Reben er anpflanzt, welche Freuden und welche Mühen er hat. Natürlich auch, um zu erfahren, wie lukrativ der Weinbau in Dernau und in Weinorten wie Mayschoß, Rech und Kreuzberg ist, verglichen mit den Erträgen in anderen deutschen Weinbaugebieten«, sagte Florian.
»Das hängt im Wesentlichen von der Qualität vergleichbarer Weine, der Lage und dem Sommer ab«, erwiderte der Mann in Cordhose.
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