Hennessy 02 - Rätselhafte Umarmung
selbstgewählte Isolation hatte ihn von seiner Gabe und von seiner Magie abgeschnitten. Erst seit er sich wieder zu öffnen begann, begann er auch wieder zu fühlen.
Er spürte, wie er unsicher auf der Schwelle zwischen seinem alten Leben, einem abgelegten Kokon der Trauer, und einem neuen Leben stand. Er konnte schon spüren, wie er sich vorsichtig durch die Tür beugte, hinter der wieder eine Zukunft für ihn lag. Teils konnte er es kaum erwarten, endlich wieder einzutreten, teils fürchtete er sich davor.
Er senkte den Kopf und drückte einen zärtlichen Kuss auf den Ring, den Serena ihm geschenkt hatte, den Ring, der solche Wärme ausstrahlte. Tränen standen ihm in den Augen, als er sich endgültig von ihr verabschiedete.
»Bryan?« Er hörte Rachels Stimme, bevor sie ins Arbeitszimmer kam. Er hatte gerade noch Zeit sich zu räuspern und die Tränen wegzublinzeln.
»Bryan, bist du - ach, hier bist du«, sagte Rachel. Sie blieb unentschlossen stehen, sowie sie das Arbeitszimmer betreten hatte. Besorgt zog sie die Brauen zusammen. »Ist alles in Ordnung?« fragte sie zaghaft.
»Schon ... gut.«
Er sah nicht gut aus, befand Rachel. Er sah aus wie ein Mann, der gerade ein starkes Gefühl niederzukämpfen versuchte. Die Vorstellung ging ihr so nahe, daß ihr eng ums Herz wurde. Bryan lächelte immer - außer wenn er sie dafür schalt, daß sie nicht an Magie glaubte. In der kurzen Zeit, seit sie ihn kannte, hatte sie ihn selten wirklich ernst gesehen. Sie hatte ihn noch nie bekümmert gesehen. Bis jetzt.
»Ich habe nur meine Augen ein bisschen ausgeruht«, log Bryan. Er nahm die Brille von der Nase und rieb sich über die müden blauen Augen. »Ich habe zuviel gelesen.«
Er setzte die Brille wieder auf und schaute Rachel an. Sie sorgte sich um ihn. Er spürte ihre Anteilnahme. Ein warmes Gefühl durchlief ihn, und ein leises Lächeln zog an seinen Lippen.
»Wonach suchst du?« fragte sie. Langsam, um nicht allzu neugierig zu erscheinen, kam sie an den Tisch.
Sie hatte sich gezwungen, Abstand zu ihm zu halten, aber wie sie entdeckt hatte, fühlte sie sich so zu ihm hingezogen, daß sie immer neue Vorwände fand, um ihn aufzusuchen. Das emotionale Tauziehen zehrte allmählich an ihren Kräften.
»Beweise dafür, daß es Wimsey gibt«, sagte er.
»Du hast noch keine gefunden, nicht wahr?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Sie spürte, wie ihr inneres Pendel von ihm wegschwang.
»Das heißt nicht, daß es keine gibt«, widersprach Bryan mit erzwungener Fröhlichkeit, »sondern nur, daß ich nicht an der richtigen Stelle gesucht habe.«
Rachel seufzte, und ihre Schultern sanken resigniert herab. »Glaubst du, daß Mutter nachts wirklich diesen Wimsey sieht?«
Es hatte noch zwei weitere Vorfälle gegeben, bei denen Addies schwer zu fassender Eindringling im Spiel gewesen war. Jedesmal hatte niemand außer ihr etwas gesehen. Rachel war immer noch fest davon überzeugt, daß diese Erscheinung eine Einbildung war. Bryan dagegen schien immer noch davon überzeugt, daß sie keine war.
»Sie sagt nein. Sie scheint zu glauben, daß es sich um ein anderes Wesen handelt. Komisch, dabei hat sie früher nie von anderen Geistern gesprochen, immer nur von Wimsey«, sann er nach, während er ein dickes Buch beiseite schob, um einen Blick auf seine Aufzeichnungen zu werfen. »Und in dem Teil des Hauses, wo sie die letzten Geistererscheinungen gesehen hat, habe ich noch keine Aktivität festgestellt.«
»Das heißt?«
»Das heißt«, antwortete er gedehnt und winkte Rachel zu sich. Er fuhr mit der Hand über die Blaupause des Hauses, die er in ein numeriertes Raster unterteilt hatte, und deutete dann auf ein paar kleinere, eingekreiste Zahlen. »Sichtungen konzentrieren sich fast immer auf ganz bestimmte Bereiche. Auf dieses Zimmer zum Beispiel und auf die Eingangshalle.« Er tippte mit dem Bleistift auf zwei gesonderte, gerasterte Zeichnungen, die beide mit unzähligen kleinen Zahlen übersät waren.
»Das sieht sehr ... wissenschaftlich aus«, gestand Rachel überrascht. Sie war zwar zu der Überzeugung gelangt, daß Bryan kein Betrüger war, aber das hieß nicht, daß sie seinen Beruf akzeptierte.
Er sah sie von der Seite an. »Ja, auf der transsylvanischen Universität lernt man sein Handwerk.«
Rachel spürte, wie sie rot wurde. »Du hast neulich erzählt, du wärst zusammen mit Jayne aufs College gegangen.«
»Ja.« Seine tiefen, blauen Augen blitzten boshaft. »Sie hat einen Abschluss in Hexerei
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