Hennessy 02 - Rätselhafte Umarmung
Bryan«, sagte Sam Harrison und reichte ihm einen kleinen Stapel.
»Gut gemacht, Sam. Eines Kindes aus der Baker-Street-Bande würdig, will ich meinen.«
»Danke, Chef«, antwortete Sam im Dialekt der Londoner Straßenkinder, die Sherlock Holmes gelegentlich geholfen hatten.
Die Verschwörer grinsten einander an.
»Bryan!« fuhr ihn Rachel entgeistert an. »Du hast Porchind die Bücher gestohlen!«
»Nur ausgeliehen«, korrigierte er.
»Und meinen Sohn zum Mittäter gemacht!« Alaina durchbohrte ihn mit einem tadelnden Blick und drehte sich von ihm weg, als wollte sie instinktiv ihre kleine Tochter vor Bryans Schlechtigkeit beschützen.
Bryan ignorierte alle beide und studierte gedankenversunken seine unrechtmäßige Beute. Er zog ein dünnes Buch aus dem Stapel und tippte mit dem Finger auf den herausgeschriebenen Titel auf dem Vorsatzblatt. »Das Tagebuch Arthur Drake des Dritten.« Er sah Rachel an und zog eine Braue hoch. »Was glaubst du, wollten Schweinchen Schlau und sein Kumpan damit?«
»Ich nehme an, sie wollten es lesen«, antwortete sie kurz angebunden.
»Was treibt ihr alle da draußen?« fragte Faith Callan, die gerade auf die Veranda trat, ihren Sohn Nicholas auf der Hüfte tragend. Der Kleine hatte den Kopf gegen die Schulter seiner Mutter gelegt und den Daumen im Mund. Seine Lider waren halb geschlossen, was darauf hindeutete, daß bald Schlafenszeit war.
»Wir spielen ein bisschen >Bäumchen wechsle dich<«, antwortete Bryan gedankenverloren und strich seinem Patenkind über den Kopf.
Alaina zog Faith beiseite, um sie in die Einzelheiten einzuweihen, und Bryan sah Faith' Mann auf die Veranda treten. Shane Callan war groß, sah gut aus und wirkte mit seinem schwarzen Haar und den blaugrauen Augen fast aristokratisch, aber was Bryan im Augenblick am meisten interessierte, war die Tatsache, daß Shane sechzehn Jahre lang als Agent für das FBI gearbeitet hatte.
»Shane«, erklärte er mit einem breiten Lächeln. »Genau dich brauche ich.« »Ich bin froh, daß Addie uns verboten hat, die hier zu verkaufen«, meinte Bryan, während er sich neben Rachel in die Chintzkissen der alten Hollywoodschaukel sinken ließ.
»Ich auch.«
Sie hatten die alte Schaukel hinter das Haus getragen. Sie stand jetzt kurz vor dem Zaun an der Klippe, zwischen wuchernden Büschen, die eine kleine Laube bildeten, in der man den Sonnenuntergang über dem Ozean und den Stemenaufgang im Abendhimmel beobachten konnte. Eine freundlich gesinnte Wetterfront hatte ihnen einen angenehm warmen Abend beschert.
Unten rollten die Wellen beruhigend gleichmäßig an den Strand. Verglichen mit dem Nachmittag war die Stimmung so friedlich, daß Rachel sich ihr eine Weile ganz entspannt hingab.
Addie hatte der Tag so angestrengt, daß sie gleich nach dem Abendessen ins Bett gegangen war. Rachel fühlte sich befreit wie eine Mutter, deren Baby zur Abwechslung einmal eine Stunde früher eingeschlafen war. Sie und Bryan hatten ein paar Stunden mehr für sich allein. Was für ein Geschenk!
Sie trug einen locker sitzenden lila Baumwollsweater und einen bequemen grauen Rock. Das Haar hatte sie immer noch hochgesteckt, aber der Knoten hatte sich gelockert, und die Abendbrise ließ die feinen Strähnchen rund um ihr Gesicht wie kleine Bänder flattern. Sie zog die nackten Füße unter sich und nippte an ihrem Weißwein.
Bryan saß neben ihr. In seinen alten Jeans und dem ausgeblichenen Flanellhemd sah er aus wie das Sinnbild eines entspannten Mannes. Er hatte die langen Beine ausgestreckt und die Knöchel übereinandergeschlagen. Da er auf den Ozean hinausschaute, sah Rachel sein Profil und konnte ihn studieren wie ein Künstler sein Modell. Das Gesicht mit der hohen Stirn und dem markanten Kinn wirkte energisch, aber doch freundlich. Winzige Bartstoppeln überschatteten die glatten Wangen. Die müden, aber intelligenten Augen schauten nachdenklich aufs Meer hinaus.
Plötzlich schwemmte eine Woge zärtlicher Zuneigung über Rachel hinweg wie die Brandung über den Strand unter ihnen. Das Gefühl überraschte sie und ängstigte sie ein bisschen . Der Sommer näherte sich seinem Ende.
Bryan drehte sich langsam zu ihr um. und seine Augen spiegelten ihren Schmerz wider. Er legte die Hand auf ihre Wange und wischte mit dem Daumen eine Träne weg, die ihr unbemerkt entkommen war.
»Der Sommer ist noch nicht vorbei«, flüsterte er und beugte sich zu ihr, um sie liebevoll auf die Lippen zu küssen. Dann setzte er sich wieder auf, atmete
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