Henningstadt
sehen, ob Steffen Tränen in den Augen hat. Seine Stimme ist leise und zittrig geworden. So kennt Christian ihn gar nicht. So hat er ihn nur einmal erlebt, vor einem halben Jahr bei der Trennung von Micha. Steffen sieht ihm in die Augen: «Ich hab einfach keine Lutz, ach! Lust mehr auf Beziehung. Man macht sich nicht glücklich damit.»
«Also das ist doch Quatsch», sagt Christian. «Liebling! Du verrennst dich total. Es ist jetzt grad mal ‘ ne Woche her mit Lutz. Warte mal ab!»
«Ich will keine Beziehungen mehr! Sex kann man auch so kriegen. Ich geh in den Park, und wenn ich alt bin, lass ich mir einmal im Monat einen hübschen Callboy kom men. Ich hab auch schon ein Altersheim konzipiert. Willst du mit einziehen?»
«Darüber lässt sich reden.»
«Weißt du, Christian, ich glaube, es liegt daran, dass es in einer schwulen Beziehung zwei Männer sind. Zwei Män ner können nicht Zusammensein, glaub mir! Das geht einfach nicht!»
Christian runzelt die Stirn und sieht Steffen zweifelnd an.
11
Und vielleicht ist auch gar nichts drin, in der Kugel.
12
Isabell geht in ihr Zimmer. Ihr Freund Andreas läuft hinterher. Sie dreht sich um, steht breitbeinig und stemmt die Arme in die Hüften.
«Ich find ’ s einfach Scheiße, dass du mir hinterher spionierst, dass du ständig anrufst, dass ich nie mal Zeit für mich alleine hab.»
«Aber du hast doch Zeit für dich alleine.»
«Ja, weil ich sie mir nehme!»
«Wo warst du denn gestern Abend? Ich hab angerufen, und deine Mama wusste auch nicht, wo du bist! Wir ha ben uns Sorgen gemacht!»
«Siehst du, das ist genau das, was ich meine!» Sie macht eine kurze Pause. «Ich war auf der Fete bei Erik, falls es dich interessiert.»
«Aber nicht mehr, als ich angerufen hab.»
«Sag mal, hast du noch alle Tassen im Schrank?», Isa bells Stimme ist laut geworden.
«Was denn?», fragt Andreas.
«Dann weißt du ja sicher auch, dass ich mit Henning zusammen nach Hause gegangen bin.»
«Das hat Erik gesagt. – Aber er war sich auch nicht sicher, sonst hätte ich ja bei Henning anrufen können. Es war schon so spät.» Andreas setzt sich auf Isabells Bett.
«Hast du mit Henning geschlafen?»
«Jetzt fängst du auch so an. Nein, hab ich nicht! Ich hatte nur mal jemanden, mit dem ich über alles reden konnte.»
«Über was denn?»
«Ach, das verstehst du nicht!»
Andreas sieht seine im Schoß zusammengelegten Hän de an. «Und was soll das jetzt heißen?»
Isabell fühlt, wie sich ihr Bauch zusammenzieht. An dre as tut ihr Leid. Andreas war immer lieb zu ihr. Er hat ihre Launen mit großer Geduld über sich ergehen lassen, das ist ihr klar. Überhaupt nicht klar ist, ob Henning wirk lich will. Das ist aber erst der zweite Schritt. Andreas tut ihr Leid, aber wenn sie sich jetzt nicht von ihm trennt, dann wird es wochenlang so weitergehen: Sie ist genervt von seiner bloßen Gegenwart.
Ihre Stimme ist leise. «Andreas, ich will mit dir Schluss machen.» Andreas hört den Ernst in ihrer Stimme, sieht sie an, steht auf, geht aus dem Zimmer, geht aus dem Haus.
Isabell wirft sich aufs Bett und erwürgt ihr Kopfkissen. Dann geht sie ihre Mutter suchen und setzt sich zu ihr vor den Fernseher.
«Ich hatte mich schon so daran gewöhnt, dass ihr zu sammen seid», sagt ihre Mutter Hannelore. «Es ist scha de.»
«Ja», sagt Isabell.
13
Henning hat keine Lust mehr zu lesen und beschließt, Isabell anzurufen. Früher oder später wird sie ihn sowie so anrufen, und jetzt hat er Lust zu quatschen. Eigentlich ist es schon zu spät um sich zu treffen, aber vielleicht bringt sie ihn auf eine Idee, was er machen kann. Er ist unruhig. Henning wählt ihre Nummer. Isabell nimmt ab.
«Ruf mich nie wieder an!», schreit sie ins Telefon.
Obwohl er weiß, dass er nicht gemeint sein kann, hat er keine Lust, noch mal anzurufen und sie in dieser Laune zu sprechen. Henning seufzt und streunt durch die Woh nung.
14
In Japan ist das Autofahren mit Plateausohlen unter sagt. Die zulässige Sohlenstärke bestimmt ein Gesetz.
15
In diesem Städtchen liegen die schwulen Orte alle nah beieinander in der Altstadt. Die SIH im Gemeindehaus, das Inflagranti etwas weiter unten am Berg und der Fried hofspark der Mariengemeinde wieder ein Stück berg an ein paar Gassen vom Gemeindehaus entfernt, in Sichtweite der Kirche. Christian hat sich verabschiedet. Steffen geht noch zum Park. Die Schwulen der Gegend nennen den Friedhof Park, damit sie
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