Henningstadt
in Hennings Situation haben. Der liebe Gott kennt diesen Brief schon. Henning verbrennt ihn und fühlt sich erleichtert.
Er geht einkaufen. Fleisch, Sahne, Champignons, Boh nen, Knabberzeug. Was soll er Isabell sagen? Was will sie hören?
Was will sie überhaupt von Henning? Wenn er schwul ist. Henning ist schwul. Irgendwie ist er sich fast sicher. Isa bell ist seine Freundin. Natürlich. Aber er ist schwul. Er ist schwul und sie ist seine Freundin. Weil er schwul ist. Weil er schwul war und weil er so war, wie er ist, und ist wie er war, deshalb ist sie seine Freundin. Seine Freundin hat ihn gern. Er war vorher wie nachher. Das denkt er. Isabell wird bleiben. Wird ihm die Freundschaft nicht aufkündigen. Die Sache ist ganz einfach. Er muss nur die Zeit rumkriegen, bis sie kommt. Natürlich fürch tet er sich. Am besten redet er darüber, dass irgendein Junge in der Schule so schön sei. Gerrit oder Erik. Und dann kann sie sich darüber wundern, dass er von schönen Männern spricht, und er kann anfangen auszupacken. Woher soll man wissen, dass man schwul ist? Die ande ren wissen auch nicht, dass sie nicht schwul sind und sind trotzdem nicht schwul. Henning überlegt, wer in der Schu le noch schwul sein könnte. Wer ist feminin? Wer hat ihn mal angebaggert, seine Nähe gesucht? Ihm fallen zu viele ein, als dass das eine Bedeutung haben könnte. Zu viele haben sich irgendwann mal nicht männlich benom men. Alle normalen Jungen benehmen sich mal nicht männ lich. Sonst könnten sie weder ein Buch lesen noch eine physikalische Formel bei der Speller lernen. Was ist also männlich, wenn sich Männer nicht männlich beneh men? Henning packt eine Kognakflasche in den Wagen. Jeden falls ist es ein Benehmen und keine Art von Sein. Dass man nach Steaks Kognak trinkt, hat er mal gelesen. Henning freut sich über die T atsache, dass es bürgerlich kon ventionalisierte Drogen gibt. Und wenn er nun doch nicht schwul ist? Wenn er nun in vierzehn Tagen merkt, dass er gar nicht schwul ist? Schöne Scheiße w ä r das. Aber dann bliebe alles wie es ist: Seine Eltern seine Eltern und Isabell seine Isabell, mit der er zusammenkommt, wenn sie mit Andreas fertig ist. Da zuckt irgendwas in Hen nings Bauch zusammen. Wenn sie fertig ist mit An dre as. Ja? Was ist dann? Dann sind wir quasi zusammen. Sofort. Auf dem Verwaltungswege, sozusagen. Wir haben verabredet, dass wir ein Paar sind, wenn sie nicht mehr mit Andreas geht. Dann werde ich mit ihr schlafen, weil ich mit ihr schlafen will, denkt Henning. Da ist das Zucken wieder im Bauch. Aber was zuckt im Bauch? Es ist ein vertrauter Gedanke, dass er seine Jungmannschaft mit Isabell verlieren wird: schließlich ist es kein Ekel und kein Erschrecken, was in seinem Bauch rumort. Ich habe einfach Hunger, denkt er, um sich zu beruhigen. Also jeden falls macht ihm das Sorgen. Neulich im Bett hat er einen Ständer gehabt. Aber er hat auch nicht gedacht, dass er seinen Schwanz reinstecken soll. Er glaubt nicht, dass er seinen Schwanz reinstecken will in Isabell. Egal wie schön sie aussieht. Denn die Schönheit des Aussehens gilt ja doch als ausschlaggebender Faktor bei Vornahme dieser Handlung. Aber noch bevor er erleichtert – erleich tert wegen der Klarheit dieses Gedankens — denken kann, «Ich bin also schwul», fällt ihm ein, dass er dann ja seinen Schwanz, wenn es um das Reinstecken geht – wenn das Reinstecken entscheidet, ob er schwul ist oder nicht – dass er seinen Schwanz ja dann in einen Jungen stecken muss. Zum Beispiel in Erik. Das kann er sich aber noch weniger vorstellen als mit Isabell. Er zögert. Dann steckt er schnell den Schlüssel ins Schloss. Lässt los, als sei er kochend heiß. Versonnen zieht er den Schlüssel lang sam raus und schiebt ihn wieder rein. Das Schloss macht leise klickende Geräusche. Er merkt, dass sich sein Schwanz leise mit Blut füllt und größer wird.
«Hallo Henning!», sagt Frau Pernaz. Henning fährt zusammen, er war vollkommen in Gedanken versunken und hat niemanden kommen gehört. Die drei Pernaz-Schwestern kommen die Treppe hoch auf ihn zu. Die Ältes te der drei führt sie an. «Wir wollten – »
«Wollten, wollten», murmeln die anderen zustim mend, «dir ein Stück von dem Kuchen vorbeibringen, den wir aus deinen Eiern gemacht haben.» Alle drei strahlen vor Freude über die Freude des jungen Mannes, der Kuc hen bekommt. Der Kuchen der Pernaz-Schwestern ist in der Straße berühmt. Manche Leute behaupten, die Zuta ten bestünden
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