Henningstadt
ist es ihm unangenehm, aber die andern lachen und sie lachen und lachen nicht schmie rig oder komisch, und niemand macht Anstalten, sich ihm gegenüber aufdringlich zu benehmen, und es ist wohl auf jeden Fall in Ordnung, einen unanständigen Schwu lenwitz zu hören und ihn lustig zu finden.
«Das ist nur schwules Leben, wenn man schlecht ge launt ist», sagt Gernod zu Hennings Beruhigung.
«Schwule sind erfolgreiche Leute. Arbeiten lenkt ab. Dann hat man ’ s schön mit dem vielen Geld», sagt Gerrit am Nebentisch. Es klingt ironisch, aber Henning ist sich nicht ganz sicher.
«Schwules Leben ist ganz unterschiedlich, wie bei den Heten auch», sagt Mark.
«Die Heten sind die Heterosexuellen», sagt Peter.
«Schwules Leben ist ganz normal», wiederholt Mark sein Statement.
Aber die fehlenden Flyer vermitteln Henning nicht gera de den Eindruck, alles sei normal.
Ein Bier kommt von rechts zu Henning. «Für dich!», sagt die Bedienung. Henning sieht ihn zweifelnd an. «Von dem Herrn da», sagt sie zur Erklärung. ‹ Der Herr da › ist der Typ, der Henning angeglotzt hat. «Na, prost!», sagt Christian grinsend und hebt sein Glas. Henning ist unsicher. Auf jeden Fall hat er keine Lust, mit dem Herrn nähere Bekanntschaft zu schließen. Er sieht unsympa thisch aus. «Was soll ich denn damit machen?», erkundigt sich Henning.
«Na ja, trinken kannst du ’ s ja», sagt Peter. «Das ist keine Verpflichtung.» Verpflichtung zu was, würde Hen ning gerne fragen. Henning will an seinem ersten Abend hier nicht unhöflich sein. Es gibt Meinungsver schie den heiten, was es heißt, das Bier stehen zu lassen: ob es ein fach heißt, dass man nicht will, oder ob es eine Beleidi gung ist. Also nippt Henning dran. König Salomo hätte nicht diplomatischer handeln können. Er hat sowieso schon gedacht, dass es blöd ist, Kaffee zu trinken, wenn alle Bier trinken.
«Wenn er dich anspricht, sag ihm einfach danke und dass er nicht dein Typ ist. Fertig», meint Peter.
«Du kannst auch hingehen und mit ihm reden», sagt Mark. Henning wirft einen kurzen Blick rüber. Die Frei heit hat viele Gesichter.
Dann wendet sich die Unterhaltung auf ein Bezie hungs problem, das Anatol mit einem Liebhaber hat. Hen ning hört interessiert zu. Ein Kneipengespräch unter Freun den. Henning ist froh, hier zu sein, dabei zu sein, dazu zu gehören, mitzumachen.
Dann ist es Zeit für den letzten Bus, und er verab schie det sich. Bis zur Haltestelle kommt Mark mit, dann muss er in die andere Richtung.
Zu Hause angekommen, denkt Henning mit Schrecken daran, dass er noch aufräumen muss, bevor seine Eltern wiederkommen. Überhaupt denkt er mit Schrecken an seine Eltern. Auf jeden Fall will er noch eine Weile war ten, bis er ihnen sagt, dass er schwul ist. Er denkt, er hat es sich nicht ausgesucht, schwul zu sein, also kann er nichts dafür und also kann man ihm auch keinen Vorwurf daraus machen. Und also will er es seinen Eltern erzäh len, schließlich sind sie seine Eltern und er wird ja voraus sichtlich noch ein paar Jahre bei ihnen wohnen bleiben. Allein deshalb ist es wichtig, dass sie Bescheid wissen.
Henning erinnert sich weder an ein Gespräch noch an eine beiläufige Bemerkung seiner Eltern über Schwule oder Lesben. Irgendwie scheint es das bei ihnen einfach nicht zu geben. Er hat keine Ahnung, wie sie reagieren werden. Er weiß nur, dass sie ihn sehr lieben, und also wird es sich schon einrenken. Aber er will noch eine Wie le warten. Seine Eltern sind nicht gerade die Fortschritt lichsten. Ausländerfeindlich sind sie aber zum Beispiel gar nicht. Da wird es auch mit den Schwulen gehen. Denkt Henning. Seine Mutter allerdings ist ziemlich ver klemmt. Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht, und wer weiß überhaupt irgendwas über seine Eltern?
Henning flätzt sich ins Wohnzimmer und macht eine Flasche Bier auf. In punkto Alk sind sie zum Beispiel ganz locker. Henning kratzt sich am Sack. Das würde er aller dings nicht machen, wenn seine Eltern dabei wären. Und er hat vor heute Abend auch nichts gewusst über Schwu le, wenn er darüber nachdenkt, außer dass man nicht schwul sein darf. Wer das allerdings gesagt hat, wie er darauf kommt, ist ihm ein Rätsel.
Steffens Nummer legt er als Trophäe auf den Wohn zimmertisch. Was der wohl für einen Beruf hat, fragt sich Henning. Jedenfalls hat er wunderbar gerochen und er sieht gut aus. Dass er ein bisschen älter ist als er, stört Hen ning nicht. Im Gegenteil, da kennt er wenigstens die
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