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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Brühl
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nicht, weil er zu oft gefehlt hat. Henning hat noch zwei Jahre vor sich und ein fach keine Lust mehr. Er findet es auch nicht normal, bis achtzehn oder neunzehn ein Schüler zu sein, wo ande re schon mit der Lehre fertig sind und Geld verdienen und vom eigenen Geld ausziehen können. Henning will ausziehen. Es hat ihm gut gefallen, alleine zu wohnen, in der großen Wohnung, statt mit seinen Eltern zusammen und nur in seinem Zimmer. Er ist ungerecht, rügt er sich. Seine Eltern lassen ihn schon so ziemlich in Ruhe.
    Verhungert ist er auch nicht, kochen kann er ja noch lernen oder sich von Steaks und Butterbroten ernähren und Spaghetti. Wenn man achtzehn ist, kann man auszie hen. Vielleicht. In der Schule kursieren dunkle Gerüchte über Wohngeld, Schülerbafög und die Bedingungen, die man selbst oder die Eltern oder die Schule erfüllen muss.
    Immerhin weiß er jetzt den Nachnamen. In der Grup pe haben sich alle geduzt. Das war zwar durch die Vor stel lungsrunde klar, aber komisch war es schon, die gan zen unbekannten Erwachsenen zu duzen. Steffens Nach name lautet Pohl. Ein Nachname halt. Schwule, weiß Hen ning jetzt, haben Vor- und Zunamen. Nur Mädchen namen haben sie nicht, denkt er. Aber da irrt er sich.
    Das Telefon klingelt. Das ist Steffen, schießt es Hen ning durch den Kopf. Beim zweiten Klingeln denkt er, dass es ja unmöglich Steffen sein kann. Beim dritten Klin geln denkt er, dass es Steffen ist. Der Anrufbeantworter geht ran, und eine Stimme fragt Henning, ob er Zeit hat, sich mit ihm zu treffen. Oder ob er wirklich krank ist. Es ist Lars. Lars ist nett. Früher waren sie öfter mal zusam men unterwegs, dann nicht mehr so. Lars will immer Isa bell dazuholen und sitzt dann mit einem Ständer am Café tisch. Der wird wohl nicht Henning gelten. Der nahe Körper des anderen gefällt ihm trotzdem, und wenn man abends auf einen wichsen kann, dann kann man sich schon mal tagsüber mit ihm treffen. Und außerdem gab es diese kleine Szene auf der Fete. Vielleicht hat Lars mehr Interesse, als Henning bis jetzt angenommen hat. Henning hat übrigens schon einige Male in seinem Leben zu wenig Interesse angenommen. Vermutlich gehört er zu den Leuten, die erst die schwulen Weihen brauchen, da mit sie wissen, was sie tun, wenn sie geschlechtlich ver keh ren.
    «Ja, hallo, Lars! Heute iss ein bisschen schlecht. Lass uns bald noch mal telefonieren.»
    Lars erkundigt sich, was denn los sei mit Henning, und Henning antwortet, dass seine Eltern in Urlaub sind. Das versteht Lars als Grund, zu Hause zu bleiben und findet Henning cool. Dann reden sie über den Physikkurs, den blöden Egge und die neuesten Gleichungen, optische Phänomene betreffend. Henning lässt sich von Leuten, mit denen er redet, den verpassten Stoff erklären. Das ist jedes Mal eine etwas delikate Angelegenheit, weil die na tür lich auch lieber zu Hause geblieben wären und keine Lust haben, auch noch erklären zu müssen, was drange kommen ist, damit Henning schön weiter blaumachen kann. — Aber andererseits wären sie selbst gerne zu Hau se geblieben und finden Hennings Konsequenz so gese hen ganz in Ordnung, jedenfalls mehr als verständlich. Das Telefon klingelt. Henning meldet sich mit Nachna men. Das macht er, seit er sechzehn ist.
    «Guten Tag, Frau Staiger! Ist Henning da?»
    «Ja, ich bin dran!»
    «O! Entschuldige!»
    «Na ja, das passiert manchmal.» Henning mag es nicht besonders, wenn man ihn am Telefon für seine Mutter hält. Noch dazu der Mann, auf den er es abgesehen hat.
    «Ja, ich wollte mich mal melden. Du wolltest. — Wir wollten uns ja mal treffen.»
    «Ja.»
    «Also, wenn es diese Woche noch was werden soll, dann w ä r eigentlich heute am besten. — Wenn du Zeit hast.»
    «Jaa.», sagt Henning gedehnt und überlegt kurz, ob er sagen soll, dass er dann aber jemand anderem absagen muss. Eine ohnehin nur halb festgemachte Verabredung. Wer beliebt ist, trifft sich eben viel mit Leuten. Dann fin det er das aber übertrieben: «Ja, gerne.»
    Die beiden verabreden sich in einem Café im Zentrum von Henningstadt. In einer Stunde. Der Weg ist für beide etwa gleich weit.
    Henning hüpft vor Freude ein paar Mal hoch und klatscht in die Hände. Er stellt sich vor den Spiegel und überlegt, was er anziehen soll. Eigentlich sieht es gut aus, was er anhat, jedenfalls okay. Und er will auf keinen Fall zu spät kommen. Also entscheidet er sich dafür, so auszu sehen, als ob die Verabredung nichts wirklich Besonderes sei, und schon ist er

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