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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Brühl
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böse Enttäuschung klet tert seinen Rücken hoch. Henning steht in der Nähe der beiden. Leute verabschieden sich, Leute stehen rum und warten auf den Rest. Offenbar, um den Weg zur Kneipe gemeinsam zurückzulegen. Jemand geht noch mal zurück, um irgendwas zu holen, das er vergessen hat. Jemand fragt nach Kleingeld. Henning kann wechseln und ist froh, dass er was zu tun hat. Steffen sieht zu ihm rüber. Henning sieht ihm in die Augen. Henning gibt sich einen Ruck und macht einen Schritt auf Steffen zu, sieht aber vorher weg. Noch einen Schritt macht er in Richtung Mann, und in einem Roman läse man, er sei der Ohn macht nahe. In einer Oper wäre es jetzt Zeit für die große Arie des Henning: This inward burning will consume me. — Dies innre Brennen wird mich fressen. Plötzlich steht er zehn Zentimeter vor Steffens Gesicht und tritt wieder einen Schritt zurück.
    «Ob, also, ob du mir vielleicht deine Nummer geben kannst? — Dann kann ich dich mal anrufen.»
    «Warum?», fragt Steffen brüsk.
    Henning erschrickt. So eine blöde Antwort! «Ich würde gerne mal reden. Über Schwul-Sein und so», haucht Hen ning und sieht Steffen verzweifelt unsicher von unten an, ohne dass er es merkt. «Nicht in der großen Gruppe eben.» Steffen tut es schon Leid, dass er es dem Kleinen so schwer macht. Schließlich — süß sieht er aus und scheint auch buchstabieren zu können, warum soll er sich also nicht mal mit ihm treffen.
    «Ja, klar. Ruf mich an, dann treffen wir uns mal.»
    «Ja», sagt Henning. Die beiden sehen sich an, die Ent scheidung ist getroffen. Die beiden sehen sich an und nichts passiert.
    «Hast du einen Stift?», fragt Steffen schließlich.
    Henning hat keinen Stift. Henning hat abgecheckt, dass sie am Rand stehen und nicht gleich alle mitkriegen, dass er den Typen um seine Nummer bittet. Steffen sieht sich um. «Christian! Hast du ‘ nen Stift?», ruft er.
    Christian durchwühlt seine Taschen, und als abzuse hen ist, dass er keinen greifbar hat, fangen sämtliche Mit glie der der Gruppe nach und nach an, in ihren Taschen nach einem Stift zu suchen, wobei sie kleine Schritte auf Henning und Steffen zu machen.
    Henning will im Boden versinken. Absolut unauffällig, die Aktion, ärgert er sich. Als die ersten auf dreißig Zenti meter herangekommen sind, und keiner weiter als drei Meter entfernt steht, findet Gerrit einen Stift und reicht ihn Henning. Der bedankt sich. Die Leute, bemerkt er, sehen nach wie vor freundlich drein. Die anderen beob ach ten das Weitere vollkommen unbeteiligt, und wahr schein lich fallen sogar Bemerkungen über das Wetter. Es ist nämlich doch recht kühl geworden. Henning gibt Stef fen den Kugelschreiber. Der schreibt amüsiert seine Num mer auf einen Zettel. Wenigstens funktioniert dieser Stift, stellt Henning erleichtert fest. Er hat die Nummer. «Dan ke!», sagt er. Und es war ja gar nicht so schlimm, denkt er sich.

25
     
    Isa steht auf, bringt ihrer Mutter ein Glas Saft und setzt sich in ihr Zimmer. Sie ist froh, dass sie nicht vor dem Fern seher hängen geblieben ist. Sie ist unruhig. Sie fühlt sich verraten und beschissen. Sie wählt Hennings Num mer. Niemand geht ran. Sie ruft jetzt zum dritten Mal an und beschließt, doch auf den AB zu sprechen. «Hier ist Isabell. Henning! Ich finde du hättest dir die Sache vorher überlegen können. Du hast mir was vorgemacht und viel leicht jahrelang und ich dachte, wir sind Freunde und ich bin sauer und ich weiß überhaupt nicht, was das soll! Du hast gesagt, wir lieben uns und wir wollen Zusammen sein. Ich bin sauer! Total! Ich komm mir total verarscht vor! Ich hab keinen Bock mehr auf dich!», sagt sie und legt auf. Nach der Tirade ist ihr wohler. Sie legt sich ins Bett und liest zornig de Sade.
     
     
     
    26
     
    Steffen ist abgezogen. Henning geht kurz hinter Mark, weil er den Weg nicht kennt. Das Inflagranti, hat er erfah ren, ist ganz in der Nähe. Dass es eine ganz normale Knei pe sei, nur eben mit Schwulen drin, sagt Mark zu dem Frischfleisch. Henning ist dankbar für die beruhigende Information. Er ist wieder aufgeregt. Er freut sich und fürchtet sich, und alles in allem überwiegt das Gefühl des Abenteuers. Es ist sozusagen Land in Sicht, und vermut lich handelt es sich tatsächlich um die verheißene Schatz insel; hinter drei Straßenecken wird sie auftauchen.
    Schon hinter der ersten Ecke nimmt er einen neuen Geruch wahr. Er schnuppert. Er unterdrückt ein Hüpfen. Er ist plötzlich so gut gelaunt wie seit Wochen

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