Henningstadt
fertig angezogen. Ein guter Plan; ein guter Anfang. Henning ist aufgeregt. Sein pochendes Herz fühlt sich warm an, wenn er die Hand auf die Brust legt.
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Natürlich zieht er sich dann doch noch dreimal an und aus.
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Das Café Hagelkorn ist eins der beiden schicken Café s in Henningstadt. Es gibt ein schickes Café für junge Leu te: das Hagelkorn, ein schickes Café für Omas: das Café Moos, und die mittelalte Bevölkerung Henningstadts geht nicht ins Café , sondern arbeiten.
Henning setzt sich an einen Tisch, der in der Ecke steht. Steffen ist noch nicht da. Hoffentlich erkennt er Stef fen wieder. Aber natürlich wird er ihn wieder erken nen. Henning ist nervös. Steffen soll ihn klasse finden. Steffen betritt den Raum. Er sieht sich um und geht auf ihn zu. Hier, im Vergleich mit der restlichen Henning städ ter Bevölkerung, sieht er dann doch ein bisschen schwul aus. Einfach, weil er ein betont modisch-männlich gekleideter Mann ist. Henning wird ein bisschen unwohl und er hofft, dass ihn niemand sieht. Ob die Leute sie für ein schwules Paar halten? Oder ob sie sie gar nicht sehen, weil sie nicht auffällig sind? Die Leute sind Henning ein Rätsel, aber das waren sie schon, bevor er gedacht hat, dass er schwul ist.
Er versucht, sich auf diesen seltsamen Stühlen bequem hinzusetzen. Warum die Menschheit es in ihrer fünftau send jährigen Kulturgeschichte nicht geschafft hat, ver nünftige Sitzmöbel hervorzubringen, das ist wahrschein lich das größte Rätsel von allen.
Steffen setzt sich auf eins der größten Rätsel der Menschheit, und Henning muss bei dem Gedanken grin sen.
«Schön, dass du da bist!», sagt Steffen. Dass er es hasst, wenn Leute unpünktlich sind, verkneift er sich zu sagen. Spießig soll der erste Satz, den er sagt, nun nicht gerade sein. Obwohl er ein gewisses Maß an Spießigkeit nicht für abträglich hält, offen gesprochen.
«Wie geht ’ s?», fragt er nach einer kurzen Pause. Eine Kellnerin läuft gerade vorbei und im richtigen Moment sieht sich Steffen nach ihr um und bestellt Kaffee.
«Du auch?» Henning nickt, und Steffen korrigiert die Bestellung. Die Kellnerin hat gewartet, um zu sehen, was Henning will, anstatt einfach weiterzulaufen. Henning freut sich, wie beiläufig und weltmännisch Steffen die Be stellung aufgibt.
Also Kaffee. Prima. Henning war sich nicht sicher, ob Schwule vielleicht auch nachmittags Bier trinken, wie sie das offenbar abends zu tun pflegen. Henning ist kein Knei pengänger und verwechselt die Kategorien In-die-Kneipe-Gehen und Schwul-Sein. Aber das ist ja nicht so schlimm.
«Und du gehst noch zur Schule?», fragt Steffen nach. Er will hören, dass der Junge vor ihm wirklich so jung ist wie er aussieht. Steffen stellt sich vor, wie er Henning fickt. Wie alt bist du? Siebzehn. Du bist siebzehn, du geile Sau! Ja, siebzehn. Na, Kleiner, wie alt bist du denn? Ich bin siebzehn. Und gefällt ’ s dir? Ja, ich bin siebzehn.
Steffen weiß auch nicht, was er in Anbetracht dieser Vorstellungen von sich halten soll. Es interessiert ihn, wie Henning so drauf ist. Schließlich plaudert man auch nicht alle Tage mit einem Schüler. Henning ist geil. Es hat eine Weile gedauert, bis er es gemerkt hat. Na klar findet er Henning sexy. Er würde ihn auch sexy finden, wenn er doppelt so alt wäre. — Wahrscheinlich.
Henning erklärt also, wie Schule funktioniert. Darin hat er Routine. Verwandte wollen das auch hören. Und er erzählt wie furchtbar er Schule findet. Den Teil spart er sich bei Verwandten oder hält ihn jedenfalls kurz. Steffen versucht sich zu erinnern, wie er Schule fand. Er glaubt, er fand es einfach normal, zur Schule zu gehen und hat sich weiter keine Gedanken darüber gemacht. Aber jetzt kann er gut verstehen, dass Henning das ganze System ankotzt. Schließlich arbeitet er auch nicht ohne Grund auf Honorarbasis bei seiner Werbeagentur, nicht als Ange stell ter. Hat Vor- und Nachteile. Henning lässt sich aus dem Berufsleben eines Erwachsenen erzählen. Er lauscht gebannt, hat Steffen den Eindruck. Vor allem interessiert ihn das Verhältnis zu Steffens Chef und zu der Sekretärin, mit der Steffen befreundet ist. Die beiden sind so eine Art Verbündete, hat Henning den Eindruck.
Jetzt ist sie allein, denkt Henning. Ohne Andreas und ohne mich. Er überlegt, ob er Steffen von Isa erzählen soll. Er will aber auch nicht gleich beim ersten Treffen Proble me wälzen. Glückliche Leute, hat man ihm beigebracht, sind
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