Henningstadt
nicht mehr. Kraft strömt in seinen Körper. Er atmet. Dann springt er noch ein bisschen in der Gegend rum. Es riecht nach Frei heit, und der Geruch verstärkt sich mit jeder Ecke, um die sie biegen. Henning kneift Mark übermütig in die Seite. Mark kreischt überrascht auf. Verdutzt sieht er Henning an. Henning strahlt.
Das Dämmerlicht der Kneipe ist angenehm. Köpfe wen den sich nach ihnen um. Trotzdem denkt Henning, dass er in der Dunkelheit ganz gut verschwinden kann. Er bestellt Kaffee. Die andern trinken größtenteils Bier. Und wenn man auch zugeben muss, dass es nicht die Schwu len waren, die Henning in die Perversion geführt haben, so muss man zumindest sagen, dass sie ihn zum Biertrin ken verführt haben.
Es tut ihm Leid, dass dieser Steffen nicht mitgekom men ist. «Sind die beiden — also – ein Paa r» , erkundigt er sich bei Mark, der neben ihm sitzt. Außer Mark sind Peter, Anatol, Gernodt am Tisch. Gerrit und der Rest sit zen am Tisch nebenan.
«Wer ist ein Paar?», fragt Mark zurück.
«Steffen und der andere — Christian?»
«Nein, nicht, dass ich wüsste. Nein, nein. Die sind halt so befreundet.»
Henning nickt.
«Interessiert dich Steffen? Ich find den nicht so beson ders.»
«Ach, warum?»
«Na ja. Ich find den oberflächlich. Wir wollen in der Gruppe schwulenpolitische Arbeit machen und Steffen blockt manchmal ganz schön. Aber ich will ihn dir auch nicht madig machen. Wenn er dir gefallt.»
Henning wird nervös, weil er sich offenbar dazu äußern soll, ob ihm ein Mann gefällt. Es wäre ja wahr scheinlich nichts Ungewöhnliches, wenn er sich mit die sen Leuten darüber unterhalten würde, wer ihm gefällt. Wie in der Schule. Und dass es ein Mann ist, ist ja hier ganz normal. Da lächelt er.
«Also doch!», sagt Mark, der das Lächeln auf seine Fra ge bezieht. Henning widerspricht nicht, sagt aber abwie gelnd Na ja. Die Unterhaltung der andern geht noch mal um die Sache mit diesen Flugblättern. Mark klinkt sich ein. Henning findet ihn ein bisschen übereifrig, aber nicht unsympathisch. Nach einer Weile kann er sich gut ein brin gen: Er erzählt von der Bibliothekarin Frau Schein schlag. Kichern belohnt die Geschichte.
Die Leute in dieser Kneipe entsprechen übrigens mehr dem Klischee, das er hat. Es gibt weiße Hosen, gepflegt dümm liches Auftreten und Fönfrisuren. Aber alles nicht über die Maßen. Das beruhigt Henning. Ein Mitt dreißiger, der nicht zur Gruppe gehört, starrt Henning an. Christian kommt nach und setzt sich an Hennings Tisch. «Wie geht eigentlich schwules Leben?», fragt er in die Runde. Das weiß hier auch niemand. Was er denn meine, wird er zurückgefragt. Das weiß er auch nicht. Wie es eben ist, wenn man schwul ist, sagt er dann.
«Ich hab einen Witz zu dem Thema!», sagt Christian. «Also: Ein schwules Paar ist seit zwanzig Jahren zusam men und langweilt sich zu Tode. Sol l n wir Analraten ma chen?, fragt der eine den andern. Der andere sagt Ja. Also du beugst dich vor, siehst die Hose runter, ich schieb dir was hinten rein und du m usst raten, was es ist. Okay, wird ge macht. Der eine schiebt dem andern also was in den Arsch. Prscht.» Christian macht ein schmatzendes Ge räusch. Mark hat die Stirn in Falten gelegt, als das Wort Anal gefallen ist. Er denkt, dass das offenbar nicht das richtige für Hennings junge Ohren ist, will aber auch nicht mit Christian streiten. Der erzählt weiter: «Ja, also, überlegt der andere. Also denkt laut. Es ist viereckig und hat Noppen — die Fernbedienung! Ja, genau, sagt der andere. Nächstes. Prscht. Ja — hm, es ist rund, wird erst größer, dann kleiner, dann wieder größer — ‘ ne Colaflasche.» Christian grinst Henning an, der in der Tat ein bisschen er schrocken dreinschaut.
«Es ist nur ein Witz!», erklärt Mark.
Peter grinst auch.
«Na ja, nächstes. Hm, es ist groß, rund, fühlt sich pelzig an. — Ein Kürbis?» Christian beugt sich vor und legt die Hände vors Gesicht, so dass es dumpf klingt: «Du kannst noch mal raten!»
Gerrit und Anatol prusten los. Peter grinst und sagt O nein. Mark findet die Sache recht unangenehm und Hen ning braucht einen Moment, um das Gemeinte zu verste hen. Dann ist es aber nicht lustig. Er lächelt ein bisschen und blinzelt irritiert. Er weiß nicht so genau, bis zu wel cher Größe man Gegenstände in den Hintern schieben kann, und warum es dem andern nicht weh tut. Und er weiß auch nicht, um eine Colaflasche welcher Größe es sich handelt. Und überhaupt
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