Henningstadt
mit Steffen rumkichern. Steffen holt ein Buch über optische Effekte. Henning gefällt be son ders eine Grafik, bei der das Auge das fehlende Stück eines Musters ergänzt, wenn man lange genug hinsieht. Dann ist es auf einmal nach elf Uhr abends und Henning muss zum letzten Bus.
«Du kannst ja auch mit mir schlafen», sagt Steffen, ohne den Fehler zu bemerken.
Henning freut sich über das Angebot. «Also, ich kann dir auch ‘ ne Matratze hinlegen», sagt Steffen. Das Doppel bett hat Henning ja schon in Augenschein genommen. Es ist jetzt auf einmal so hektisch. Henning würde gerne blei ben. Er kann aber nicht einfach hier schlafen und er traut sich nicht, seine Eltern zu fragen, weil er morgen zur Schule muss und seine Sachen nicht dabei hat, und zwei tens und vor allem kennen seine Eltern Steffen nicht. Des halb werden sie es nicht erlauben. Steffen scheint nicht über zeugt. Er bietet Henning an, ihm ein Taxi kommen zu lassen. Henning nennt die Zeit, zu der sein Wecker mor gen klingelt: sechs Uhr fünfzehn. Steffen hat ein Einsehen.
«Also bis dann!», brummelt er. An der Tür ist er wie der nett. Henning küsst ihn links und rechts auf die Wan ge. Dann stehen sie sich gegenüber, halten sich an beiden Händchen. Zentimeterweise bewegen sich ihre Gesichter aufeinander zu. Werden schneller, als sie merken, dass der andere schneller wird, bis ihre Münder aufeinander platschen. Henning und Steffen küssen sich. Das seltsam pelzige Gefühl der ersten Zungenküsse hat sich verloren. Er befühlt Steffens Rücken unter dem Vorwand, ihn zu streicheln. Dann seinen Hals und seine Brust. Dann fährt der Bus weg, und Henning nimmt ein Taxi nach Hause.
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Henning sehnt sich nach Steffen, kaum dass er zu Hau se angekommen ist. Er legt sich ins Bett und beim Wich sen stellt er sich vor, bei allen Gelegenheiten, wo sie hät ten anfangen können, Sex zu machen, wären sie mal so schlau gewesen.
Steffen wichst auf Henning. Er legt sich ins Bett und hat Sehnsucht nach ihm. Nach seinem Gesicht, seiner Wär me, seinem Körper und der Art, wie er die Beine übereinander schlägt. Morgens ist sein Bett vollkommen zerwühlt. Wenn er unruhig schläft, arbeitet es in seinem Unterstübchen. Was ist aus seinen Vorsätzen, stark zu sein und sich nicht wieder zu lieben, geworden?
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Die Eltern sind zufrieden, ihren Sohnemann wenigs tens morgens zu Hause vorzufinden. Besonders die Mut ter. Eine Szene wie im Fernsehen.
Sie sagen, dass er wegbleiben kann, so lange er will, wenn Wochenende ist, aber nicht in der Woche. Elf Uhr set zen sie als Ultimozeit. Dann gehen sie selbst schlafen. Deshalb ist elf auch für Erwachsene Schlafengehenszeit. Das sagen sie. Henning ist sauer, dass man ihm vorschrei ben will, was er zu tun und zu lassen hat. Er kann aber nicht umhin, sich einzugestehen, dass die verfügte Rege lung sehr fair ist.
Und wo er überhaupt die ganze Zeit war! — Bei Stef fen. — «Aha», sagen sie.
Henning würgt schnell ein halbes Brot runter. Morgens hat er nie Hunger. Er trinkt Kakao, der ist süß und hat Kalorien.
Vor der Auffahrt, die zum Schulgebäude hochführt, kommen ihm ein paar Fünftklässler entgegen, wahr schein lich auf dem Weg zur Turnhalle. Zwei rauchen. «Bist du schwuhul?», kräht einer. Die andern lachen. Hen ning geht weiter. Wo nehmen die nur um diese Uhr zeit diesen Elan her? Er hat eine Vision: Eine blonde Frau mit roten Fingernägeln säuselt: Abwehrformel: Schnupfosan!
«Was wollt ihr denn? Ihr kleinen Biester!», ruft er über sie hinweg, als er durch die Gruppe durchgeht. Die klei nen Biester kichern und verschwinden.
Auf dem Schulhof hat er das Gefühl, dass ihn die Leu te anstarren. Auch Leute, mit denen er nicht das Gerings te zu tun hat. Er versucht sich einzureden, dass er sich das nur einredet. Mindestens sieben Blicke f ä ngt er von Leu ten auf, die schnell wegsehen. Dann hört er das Wort Schwu le, als er an einem Grüppchen von Leuten vorbei geht, aber es kann auch Schule geheißen haben. Jemand kichert. Aber natürlich kichern Leute in der Schule. Zu lachen hat man hier nichts.
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Henning kauft dieselbe Unterhose noch mal und schenkt sie Steffen, zusammen mit einer weißen Rose. Steffen freut sich. Er ist gerührt. Die Rose kommt in eine Vase, die Unterhose passt. Gestern haben sie geknutscht, und hinterher hat es Henning Leid getan, dass sie nicht ins Bett gegangen sind. Er fürchtet sich ein bisschen vor dem ersten Mal mit Steffen.
Steffens
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