Henningstadt
Liebe.
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In den Arabesken auf Hennings Blättern hocken tin ten blaue Herzen.
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Auf dem Nachhauseweg schaut Henning noch mal bei dem Kaufhaus vorbei, in dem er mit Steffen war. Er schlen dert durch die Abteilungen. Zwei Mal glaubt er, Steffen zu sehen, aber beide Male ist es irgendwer anders. Beim dritten Mal glaubt er schon nicht mehr dran. Zu Hause ruft er ihn an.
Erst weiß er nicht, was er sagen soll, dann fragt er, wie ’ s ihm geht. Er wartet die Antwort nicht ab und sagt: «Ich will dich sehen.»
Steffen ist einverstanden. Er hat sich die Nächte mit seinem Blumenladen um die Ohren geschlagen, ist gut vorwärts gekommen und kann mal ein P ä uschen machen. Dass er sich nach Henning sehnt, gibt er sich nicht zu. Er macht nur mal ein P ä uschen.
Henning steht also nachmittags vor Steffens Haustür. Steffen zeigt ihm das kleine Häuschen, den Garten, und Henning findet alles wunderbar. Er hätte sich anders ein ge richtet, aber Steffen ist eine andere Generation, und so kann er ihm einiges nachsehen. Auch das Jimmy-Hen drix-Plakat in der Küche. Was einen reitet, dass man sich ein grünes Cord-Sofa kauft, mag der Herr allein wissen. Viel leicht ist es auch ein Geschenk, von dem sich jemand getrennt hat, und Steffen hat es vom Sperrmüll mitge nom men, als er hierher gezogen ist und schnell ein Sofa brauchte. Steffen sieht, dass Henning das Sofa anstarrt. Hen ning weiß nicht, wo er hinsehen soll. Er ist aufgeregt. «Gefällt ’ s dir?», fragt Steffen. Henning nimmt seinen Mut zusammen und sagt: «Nein, es ist scheußlich!» Steffen lacht. «Dann setz dich schnell drauf!»
Steffen bringt Kaffee, Kuchen und süßen Likör. Er ist noch mal zum Bäcker gelaufen. «So ein kleiner Spazier gang tut ganz gut», sagt er Henning «wenn man den gan zen Tag am Schreibtisch gesessen hat.» — Und das ist ge lo gen, weil er bis mittags geschlafen hat.
Das Beste an diesem Häuschen am Stadtrand ist natür lich, dass Steffens Eltern woanders wohnen. Henning fühlt sich total wohl. Er fühlt sich frei und harrt der Din ge, die die Schicksalsgöttinnen zurechtschneidern. Vor erst weben sie ein ruhiges Muster.
Das Sofa ist jedenfalls gemütlich. Steffen hat eine Men ge Bücher. Das nimmt Henning zufrieden zur Kenntnis. Steffen hat noch einen Plattenspieler. Henning findet es klasse, Platten statt CDs zu hören. Auf charmante Weise altmodisch. Als Wohnzimmertisch dient ein aufgearbei te ter ehemaliger Küchentisch, dem fleißige Hände die Beine halb abgesägt haben. Steffen sitzt auf einem Sessel links neben Henning. Henning strahlt. Steffen lässt sich an stecken. Steffen strahlt. Die beiden sehen sich an und strah len, weil sie ungestört hier am Kaffeetisch sitzen. Das ist die L iebe.
Henning fragt Steffen nach dessen Lebensgeschichte aus. Das dauert ein paar Stunden. Vor allem interessieren Henning die Freunde von Steffen und was er an denen gut fand und wie lange er mit ihnen zusammen war und ob es mehr als einer war und dann wie viele es waren. «Richtige Freunde», sagt Steffen nach einiger Überlegung «hatte ich fünf.»
Also nicht gerade lange Beziehungen, folgert Henning im Stillen. «Aber was ist schon ein richtiger Freund?», will Steffen wissen. «Mit Sex und so», findet Henning. Stef fen ist verblüfft, dass das Leben so unkompliziert ist. Wenn man so rechnet, waren es allerdings ein paar Dut zend mehr als fünf.
Gegen sieben machen sie Schnittchen. Henning ruft sei ne Eltern an, dass er zum Abendessen nicht nach Hau se kommt. Steffen geht in den Keller und holt eine Flasche Sekt hoch. Mit dem dritten Glas gehen sie dann wieder rüber ins Wohnzimmer. Henning ist beschwipst. Er stellt fest, dass man sich auf irgendeinen Ausschnitt konzen trie ren kann, zum Beispiel das Sektglas, und den Rest der Welt vergessen, obwohl man ihn noch sieht. Schwungvoll erzählt er Steffen von seiner Entdeckung. Steffen lacht und beglotzt die Maserung des Tisches. Steffen freut sich, einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Wenn es gar nicht vorwärts geht mit irgendwas, dann trinkt er schnell zwei drei Gläser Wein — oder was da ist — und bestarrt den Entwurf auf genau diese Weise. Henning fixiert Stef fens Unterarm, während der erzählt. Steffen ist ziemlich behaart. Steffen ist ein Mann-Mann, denkt Henning. Wie gesagt, er hat einen Schwips.
Henning wird nicht geil, es macht einfach Spaß, Steffen zuzuhören, und Sex scheint ihm eine ernste Angelegen heit. Jetzt will er lieber
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