Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Brühl
Vom Netzwerk:
durch den Magen?»
    «Du hast ganz köstlich gekocht!»
    «Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?», fragt Tete, denn sie ist Tunte mit Abitur.
    «Also kurz gesagt: Ich habe mich ja von diesem Lutz verabschiedet, von dem hab ich dir glaub ich erzählt. Dann habe ich beschlossen, dass ich keine Beziehungen mehr will. Endgültig! Ich kann mich nicht drauf einlassen. Ich will nicht! Ich bin ein erwachsener Mann und ich hab keine Lust mehr auf diese ganzen beschissenen, albernen Tragödien, die mit der Liebe kommen.» Tete grinst. «Und dann hab ich Henning kennen gelernt. Der hat mich nach meiner Nummer gefragt und blablabla, jedenfalls hat er sich in mich verliebt und ich find ihn auch ganz nett.»
    «Also du hast dich auch in ihn verliebt.»
    «Njah», sagt Steffen.
    «Bitte?»
    «Kann sein», brummelt Steffen.
    «Und wo ist das Problem?»
    «Ich habe jetzt in fünfzehn Jahren tausend Beziehun gen gehabt — und ich habe kein Bock mehr auf die ganze Scheiße!» Steffen ist bei dem letzten Teil des Satzes laut geworden, schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Jetzt atmet er ein und nimmt die Hände vor sein Gesicht. Er zuckt. Tete hat nicht mit dem Ausbruch gerechnet. Sie steht auf und legt Steffen von hinten die Hände auf die Schultern. Sie drückt ihn an sich. Er beruhigt sich. Eine Weile sagen sie nichts.
    «Na ja, Steffen, manchmal ist die Welt eben eine scheiß Holografie! Man kann sich aber auch was einreden. — Und jetzt hast du Angst, dass es mit Henning wieder schief geht und willst es deshalb lieber gar nicht versu chen.»
    «Ja.»
    «Na ja. Kann ich gut verstehen.»
    «Ja?», fragt Steffen.
    «Ja, Steffen. Es ist trotzdem Schwachsinn.»
    «Warum?»
    «Es ist einfach Schwachsinn!», beharrt Tete.
    Steffen schluckt.
    «Schwachsinn, weil du dich verliebt hast! Und du wirst dich immer wieder verlieben. In Henningstadt viel leicht nicht so oft, und wenn du viel arbeitest noch selte ner, aber verlieben wirst du dich immer wieder!»
    «Ich nicht», sagt Steffen. Und an der Stelle, an der Tete hysterisch werden würde, wird Steffen bockig. «Nein!», ruft er.
    Tete findet es besser, die Sache auf sich beruhen zu las sen, bis Steffen sich beruhigt hat.
     
     
     
    67
     
    Herr Steiner von den Grünen der Stadt Henningstadt ruft Christian zurück. Sie finden den Vorfall ungeheuer lich und werden in der nächsten Ratssitzung deutliche Worte sprechen. Ob er noch einen der Flyer hat, damit er sich den mal ansehen kann. Hat er. Schickt er ihm zu. Und bedankt sich. Erst sind es die Schwulen, dann sind es die Bart- und Brillenträger, ist Herrn Steiners Devise. Poli tische Devisen sind eben anstrengend, denkt Christian, aber Recht hat der Mann.
    Wie es denn überhaupt zur Konfiszierung der Flyer gekommen ist, erkundigt sich Christian. Die Frau Seite von der CDU hat angefragt, ob es denn sein könne, dass für Homosexuelle und deren Lebensweise an einem Ort Reklame gemacht werde, der auch Jugendlichen und so gar Kindern zugänglich ist. Der Stadtdirektor, SPD, hat sich bei der Dame für den Hinweis bedankt und zugesagt, er werde in ihrem Sinne handeln, bevor irgend jemand Papp sagen konnte. Das werden sie aber nachholen, ver spricht Herr Steiner. Und nicht nur Papp! Für die Grünen ist es natürlich eine prima Sache, dass die beiden großen Parteien so übereilt Mist bauen.
     
     
     
    68
     
    Abends um zehn klingelt der Wecker. Sie wollen durch den P-Berg ziehen. Tete hat was gelesen, und Steffen hat ge schlafen. Beim Aufwachen ist er traurig, aber das ver fliegt mit dem kalten Wasser, das er sich ins Gesicht spritzt.
    Als er hochsieht, um im Spiegel festzustellen, ob er noch verschlafen aussieht, grinst ihn die Mona Lisa an. Tete sieht ihn vom Zimmer aus.
    «Die hängt da, um mich an was zu erinnern.»
    «Was?», ruft Steffen.
    «Die Mona Lisa Gioconda!»
    Steffen betrachtet das Bild genauer.
    «Man sieht unendliche Erfahrung in diesem Lächeln, findest du nicht? Sie sitzt da im Weben und Streben des Kosmos, ihre Erfahrungen umbrausen sie, das Chaos der Welt fliegt ihr um die Ohren, und sie sitzt eben rum und lächelt. — Verstehst du? Sie lächelt immer! Es ist ein klei nes Lächeln, weil auch viel Mist passiert, aber sie ist über jede Erfahrung froh! Sie lächelt nicht, weil sie was Gutes erlebt hat, sondern weil sie was erlebt hat. Weil sie lebt!»
    Steffen zieht einen Flunsch und schmiert sich Bodylo tion in die Haare, um seine Unabhängigkeit gegenüber der Kosmetik-Industrie zu beweisen.
    Tete erzählt

Weitere Kostenlose Bücher