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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Brühl
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weiter. «Es hat keinen Sinn, sich aus Angst vor seinen Gefühlen zu verkriechen. ‹ Immer in dieser harten, edelsteingleichen Flamme zu brennen, diese Eks ta se zu erhalten, das ist Erfolg im Leben. › Es brennt manchmal ein bisschen, aber das gehört dazu. Flammen brennen eben!»
    «Waas?», meint Steffen. Er streicht die restliche Body lotion an Tetes Armen ab. Tete redet wirr. Er kennt diesen starren Blick, wenn sie in Schwung kommt. Als er sie ge liebt hat, hat er verstanden, wer sie wirklich ist: Sie ist das südliche Orakel. Das südliche Orakel sagt einen einzigen Satz, während es leuchtet: Wir wissen nicht, wie lange wir dem Nichts noch widerstehen können. Das Orakel ist ganz weise und ganz ehrwürdig. Leider weiß niemand, wozu es eigentlich gut ist.
    Steffen hat sie brabbeln lassen, jetzt hört er wieder hin.
    «Vielleicht verlässt er dich. Vielleicht verlässt du ihn. Na und! Das ist egal! Aber wenn du nicht lieben kannst, kannst du nicht leben. Das Leben und die Liebe sind dasselbe! Sie ist das eine, das dich hier hält: die Liebe!»
    «Amen», sagt Steffen.
    «Trottel!», sagt Tete und tritt ihm liebevoll gegen das Schienbein.
    Sie lässt einen nachdenklichen Steffen allein mit der schweren Aufgabe im Bad zurück, eine perfekte Frisur so aussehen zu lassen, als sei sie durch Zufall entstanden.
    Natürlich hat Steffen dann doch noch Klamotten zum Wechseln mitgenommen. Er holt seine Lederhose aus dem Rucksack. «Willst du nicht auch die Unterhose wech seln?», fragt Tete mal so. Steffen gibt keine Antwort, fühlt sich aber geschmeichelt. Tete und er haben ein paar Mal stürmischen Sex gehabt, als sie sich kennen gelernt haben, aber dann hat es ihnen gereicht damit. Irgendwas hat nicht gestimmt. «Und kann man noch Holzfällerhemden anziehen?»
    «Herren deines Alters auf jeden Fall!» Er wirft ein Kis sen nach ihr. Sie drückt es liebevoll an sich und wiegt sich hin und her. «In die Sauna kannst du sowieso alles tra gen.»
    Jetzt hat sie ihn tatsächlich verunsichert. «Also was!»
    «Für die Kratztheke sind Holzfällerhemd und Leder ho se genau richtig! — Du siehst gut aus, Steffen-Schatz!»
    «Also los!»
    Vor der Tür atmet Steffen die Luft der Freiheit. Sie riecht nach Abgasen und Müllabfuhr. Dass es hier immer so lange dauert, bis man irgendwo ankommt, hat er ganz vergessen. Steffen stellt verwundert fest, dass er ganz platt ist, wie viele Häuser hier rumstehen. In der Erinne rung ist diese Stadt auf die Orte zusammengeschrumpft, an denen er zu tun hatte. Die Wege dazwischen sind zu einem einzigen zusammengeschmolzen. Die Kratztheke ist ein dunkles Etablissement mit Klingel vorne und Dark room hinten. Sie bestellen Bier und sehen sich um. Steffen ist sehr angetan, dass so viele unbekannte Gesichter da sind. In Henningstadt kennt man dann doch irgendwie alle Schwulen vom Sehen. Und die, die man nicht kennt, sehen aus wie die, die man kennt.
    Tete erzählt Steffen, wie der Darkroom von innen aus sieht, damit er nicht gegen eine Wand läuft. Steffen stie felt los und schaut sich das Ding an. Tete dekoriert sich auf einem der Barhocker an einem hohen Tischchen und betrachtet die Männer von ihrem erhabenen Standpunkt aus. Sie hat zwar keine Lebensphilosophie daraus ge macht, allein zu sein, aber wenn sie sich die Herren an sieht, die hier zur Auswahl stehen, sieht sie nicht, wie sich das ändern soll. Und von ihren Bekannten ist leider Got tes auch keiner da. Bis auf die, die immer da sind. Am besten geht sie auch in den Darkroom. Nachts sind alle Kat zen grau. Andererseits findet sie es besser, erst mal hier vorne mit jemandem Augenkontakt aufzunehmen und dann zu sehen, ob er nach hinten mitkommt. Wenn das klappt, fühlt sie sich viel mehr persönlich gemeint beim Sex. Steffen kommt nach ein paar Minuten zurück.
    «Na, wie war ’ s?»
    «Schön war ’ s! Ich bin schon fertig!»
    «Grundgütiger! Worüber sollen wir uns denn den gan zen Abend unterhalten?»
    «Einmal ist keinmal!», tönt Steffen.
    «Oh!», macht Tete. «Die frische Landluft macht wohl geil.»
    Der Laden wird langsam voll. Die beiden plaudern über den Herrn, der geheiratet hat. Erstens, weil er es an geb lich mit Frauen gar nicht so schlecht findet — aber im Schlafzimmer hat ihn noch keiner gesehen — , und zwei tens, weil er Kinder will. Zwei Stück. Und drittens hat die Dame seines Herzens auch ihre lesbische Seite. Tete regt sich auf, Steffen wird nicht klar, weswegen. Sie will doch immer Schluss machen mit dem

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