Henningstadt
dagegen gehabt. Aber jetzt hab ich schon einen andern.»
«Einen andern hast du! Ich nicht. Ich hab nur einen Jun gen. Kann man sich nicht aussuchen. Dir hat er es also auch schon erzählt.»
«Aber Frau Staiger!» Isa findet es schwierig, einer Mut ter gegenüber einen belehrenden Ton anzuschlagen, ohne sie zu beleidigen. «Wenigstens ist er ehrlich! Jetzt wissen Sie halt, was los ist. Und es macht doch auch nichts. Wir wollen doch schließlich auch mit Männern — »
«So siehst du das?»
«Na ja. — Ja!»
«Aber er ist doch» — (Wir kennen das Wort, das Rosi der fremden Frau gegenüber nicht in den Mund nehmen wird, um ihren Sohn zu kennzeichnen.) Isa ist ein Mäd chen, sie eine Frau; sie beherrscht sich. Aber sie muss an sich halten. Es ist Kaffeezeit und Sonntag. Isabell macht An stalten, sich zu verabschieden.
«Isabell?»
«Ja?»
«Isabell, hättest du nicht vielleicht Lust, mit mir Kaffee zu trinken? Arnold ist nicht da und Henning ist nicht da. — Ich — bin — ein bisschen durcheinander. — Aber nur, wenn du sonst nichts vor hast.»
Isabell sagt ra tl os: «Ja. — Ich komme gerne auf einen Kaffee.»
«O, das ist schön. Ich freue mich. Da machen wir uns ein schönes Kaffeekränzchen zu zweit.»
Isabell stimmt zu und sie verabschieden sich bis gleich. Rosi hat begriffen, dass Isabell eine Freundin von Hen ning geblieben ist. Isabell will sehen, dass sie für Henning was Gutes tun kann. Gutes Wetter machen. Und ihr hat Frau Staiger Leid getan. Sie scheint es ja schwer zu neh men. Dass sie unvermittelt angefangen hat, über ihren Mann zu reden, wundert Isabell. Es ist sicher nicht üblich, dass Mütter von Klassenkameraden so normal über ihre Be ziehung sprechen. Sie hat sie ernst genommen. Das gefällt Isabell. Sie findet es spannend, eine Frau im Alter ihrer Mutter näher kennen zu lernen und sich vielleicht mit ihr anzufreunden.
Eine Freundin mehr könnte sie auch gut gebrauchen. Seit der Geschichte mit der Katze. Entweder bildet sie sich was ein, oder die Leute schneiden sie. Oder die Leute schnei den sie, weil sie sich was einbildet. Ein bisschen hat sie sich wegen Lars zurückgezogen, ein bisschen hat sie sich hinter Büchern verschanzt. Sie hat sich ganz schön geschämt. Ob Frau Staiger die Geschichte kennt?
Isabell macht sich schnell ein bisschen fein für Hen nings Mama. Sie bindet ein Seidentuch um, wie sie es von Frauen gesetzteren Alters kennt und stellt fest, dass es ihr irgendwie auch steht. Es lässt sie reifer aussehen. Sie ver ab schiedet sich von ihrer Mutter, um sich mit dem Tuch zu präsentieren. «Ich bin mit Frau Staiger zum Kaffee trinken verabredet», sagt sie gut gelaunt. Ihre Haltung ist kraftvoll, die Stimme fest und klar.
«Bitte?», fragt die Mutter erstaunt.
«Tschöhös», flötet ihre Tochter und geht los.
Rosi wirbelt ein bisschen in der Wohnung rum, wäh rend sie auf Isa wartet. Ihre Mutter hätte ihr erstens gera ten: Blut ist dicker als Wasser. Das heißt, dass ein per ver ser Sohn trotzdem ein Sohn ist. Zweitens: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Die christliche Bot schaft als Durchhalteparole. Die heilige Ignoranz des Glau bens. Einfach nicht zugeben, dass der Lauf der Dinge scheiße ist. Sich einfach erlöst fühlen. Und so tun, als sei man sich sicher, es gehe später weiter. Später und weiter oben.
Rosi erfährt von Isabell ein paar Dinge über die neue Welt. Das Thema Henning behandeln sie nur, indem sie ig norieren, weswegen Rosi geheult hat. Sie besprechen sei ne Abwesenheit und Rosis Sorge und dass er wieder kommt und dass die Welt nicht untergeht, wenn ein Sohn mal abhaut, schließlich handelt es sich um einen Jungen, der die Welt erobern muss. Das ist eine trostreiche Inter pre tation der Ereignisse und Isabell ist zu loben, dass sie die Idee hatte. Außerdem hat Henning die Eltern ja wis sen lassen, wann er wiederkommt.
Nachdem sie die Sache mit Henning durchhaben, geht Rosi zur Hausbar und holt die Flasche Patina de Coco und zwei Likörgläschen. Isabell hat eine romantische Ver sion ihres Verhältnisses zu Lars erzählt. Von da sind sie auf die Männer im Allgemeinen zu sprechen gekommen. Anekdoten über deren Eigenarten sind der Renner. Nach einer Weile kichern sie ziemlich albern rum. Dann ziehen sie zu Rosis Kleiderschrank und zerren ihre alten Seven ties-Klamotten ans L icht. Isa ist begeistert. Sie sind ge spannt, wann sie sich wieder sehen und ob sie sich dann immer noch mögen. Isa und Rosi verabschieden sich
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