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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Brühl
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Sie zieht die Mundwinkel nach außen.
    Lächeln geht von außen nach innen, ins Gemüt. Das hat sie aus einer Zeitschrift beim Friseur. Wenn es einer so wieso gut geht, funktioniert es auch.
    Sie legt die Hand an den Kopf. So ein beschissener Sonntag. Dabei könnten sie es so schön haben. Alle drei. Sie geht an den Süßigkeitenschrank. Ist sonst gar nicht ihre Gewohnheit, zumal es heute auch Kaffee und Ku chen geben soll, aber ob das stattfindet, ist mehr als frag lich. Der werte Gatte ist auch nicht gerade eine große Hil fe. Vormittags ist er wetternd durch die Wohnung gezo gen. Dann haben sie Hennings Sachen nach Hinweisen durchsucht. Anschließend sind sie zu diesem Steffen Pohl gefahren, da war aber niemand. Wenigstens hatten sie die kurze Nachricht von Henning. Stundenweise hat sie Ma gen krämpfe gehabt. Diese entsetzliche Sache mit dem Jun gen aus Hennings Schule! Wer weiß, wie es Henning gehen wird. Auf jeden Fall ist das nicht die Art von Le ben, die sie ihm wünscht. Sie macht sich Vorwürfe. Sie weiß aber auch nicht, weswegen. Ist sie schuld, wenn ihr Sohn... Schwänze lutschen will? Oder was will er? Oder was hat er gegen Frauen?
    Isabell ist eine Nette. Warum will er die nicht? Isabell ist mehr oder weniger Freundin des Hauses. Rosi mag sie gerne, Arnold auch.
    Dieser Pohl hat einen netten und sympathischen Ein druck gemacht. Hätte man gar nicht gedacht, dass der ein Perverser ist. Aber da trügt der Eindruck ja oft. Mörder sehen auch nicht aus wie Mörder.
    Rosi findet es selbst nicht gut, dass sie die Schwulen nicht leiden kann und pervers findet, aber schließlich han delt es sich um ihren Sohn. Den will sie nicht in irgend jemandes Fänge geraten sehen: weder in die der Mormonen, noch in die der Schwulen.
    Früher war es auch nicht anständig, mit einem Mann zu schlafen, bevor man verlobt war. Das hat sich geän dert, und das findet sie auch richtig. Hat sie immer schon richtig gefunden. Sie und Arnold haben halt einfach nicht mit anderen darüber gesprochen. Nur mit Freunden, die in derselben Situation waren.
    Ob Henning Freunde haben wird in der Schule, wenn rauskommt, dass er ein Perverser ist? Offensichtlich weiß er gar nicht, was das heißt, homosexuell zu sein. Mit sei ner lieben Blauäugigkeit und Vertrauensseligkeit wird er böse auf die Schnauze fallen, denkt sie sich und seufzt. Sie kriegt dieses Wort pervers nicht aus ihrem Kopf. Sie geht zum Lexikon. Meyers Großes DTV Lexikon, Baujahr 1967. Ein Hochzeitsgeschenk, das sie sich selber gemacht ha ben. Sie weiß auch nicht, was ist, es sacken ihr die Knie weg, als sie am Sofa vorbeikommt. Sie gibt nach und spürt, wie eine Woge der Verzweiflung sich Bahn bricht und sie heulen muss. Sie weint ein bisschen. Sie weiß, dass es ihr gut tut und dass es völliger Unsinn ist: durch halten, keine Gefühle zeigen, nicht bewegen, die Lippen zusammenhalten. Wie die Mutter. Nun. Wo sie schon mal traurig ist, heult sie auch gleich ein bisschen weiter, weil sie nicht mit ihrer Mutter reden kann. Rosi überlegt, was ihre Mutter ihr wohl in dieser Situation geraten hätte.
    Diese Situation hätte es nicht gegeben in Muttis Welt.
    Pervers schlägt sie im Lexikon nach. Pervers heißt: wider natürlich. Also hat sie Recht. Ihr Sohn ist pervers!
    Niedergeschlagen macht sie sich auf den Weg in die Küche. Ein perverser Sohn in der Familie.
    Das Telefon klingelt. Mit dem Lexikonband in der Hand geht sie in den Flur und legt das Buch aufge schla gen aufs Telefonbord.
    «Guten Tag, hier ist Isabell. Ich bin eine Freundin von   — »
    «Isabell, ich kenne dich doch!», sagt Rosi.
    «Ja, klar, also, Entschuldigung, also. Also Henning hat mich angerufen und er hat gesagt, ich soll sie anrufen und dass es ihm gut geht und dass er im Zug nach Berlin sitzt und dass er Anfang der Woche wiederkommt, weil er mon tags eh nur zwei Stunden hat und das nicht so schlimm ist.»
    Rosi sagt nichts.
    «Also dass es nicht so schlimm ist, wenn er die ver passt.»
    Rosi sagt nichts.
    «Frau Staiger?»
    «Ach, Isabell. Gut, dass du anrufst. Ich mache mir sol che Sorgen!»
    Isabell sagt nichts.
    «Wegen Henning. Und mein Mann ist auch nicht da. Der haut immer ab, wenn er schlechte Laune hat. Warum kannst du nicht mit ihm zusammen sein?»
    «Mit Ihrem Mann?», kokettiert Isa.
    Rosi stutzt und kichert. «Also das möchte ich mir doch verbitten!» Dann sagt sie leise: «Mit Henning.»
    «Ich dachte, Henning hat Ihnen erzählt, dass er schwul ist! Also meinetwegen hätte ich nichts

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