Henningstadt
als Duzfreundinnen.
Abends kommt Arnold endlich nach Hause. Er hat sich ein Fußballspiel angesehen und — so vermutet Rosi — war dann mit ein paar Kollegen noch einen heben. Er trinkt einen Kaffee mit ihr und bringt seine Fahne zum Verschwinden. Sie mag das nicht, denkt er sich. Er ist durchaus in der Lage und willens, Rücksicht auf seine liebe Alte zu nehmen. Er ist überhaupt ganz okay, denkt Rosi.
Arnold findet den aufgeschlagenen Lexikonband ne ben dem Telefon und denkt sich schon, dass die Rosi we der per ultimo noch Pest nachgeschlagen hat. Das Lexikon sagt: (bes. bei Freud) Störung der frühkindlichen Entwicklung, bei der die Partialtriebe z urückgeworfen werden. Traurig steht Rosi in der Küchentür. Ihr Mann fixiert sie und schlägt das Lexikon kraftvoll zu. Arnold stellt sich den kleinen Hen ning vor, wie er sich in Streifen geschnitten mit sei nen Partialtrieben bewirft. Na ja, Arnold weiß, was er ge trun ken hat. Analerotik gelte als Perversion, sagt das Lexi kon. Andere Beispiele sind zum Beispiel Nekrophilie. Das findet nun sogar Arnold maßlos übertrieben. Anal ero tik, meine Güte, denkt er. In welchem Jahrhundert leben wir denn?
«Wir kaufen uns ein anderes Lexikon!», entscheidet er. Dann setzen sie sich ins Wohnzimmer. Nach einer Weile kommt er zu ihr aufs Sofa. Er will Rosi trösten. Die hat ’ s schwer genug gehabt in ihrem Leben. Sie kuscheln. Dann gehen sie ins Bett und machen perversen Sex.
73
Henning findet sich ganz gut zurecht in der Haupt stadt. Die Fahrt war anstrengend, aber jetzt ist er da und lässt sich die Luft um die Nase wehen. Tetes Straße hat er auf der Karte nachgeschlagen. Ein übersichtlicher Plan des U-Bahn-Netzes hängt am Bahnhof Aquarium aus. Zu min dest hier sind die Leute anders als in Henningstadt: schneller. Seine Kleidung findet Henning unauffällig, das beruhigt ihn. Allein hier zu sein, gibt ihm einen Schub Eu pho rie.
Dann muss er klingeln. Zuerst ist er verwirrt, zwar ein großes Eingangstor vorzufinden, aber keine Klingelan la ge. Hinter dem Tor findet sich eine Liste der Hausbewoh ner mit einer Angabe, wo sich die Wohnungen befinden.
Jetzt muss er klingeln und kann nur hoffen, dass je mand da ist. Ansonsten setzt er sich in eine Kneipe und versucht es später noch mal. Mehrere Sätze, die er zu Steffen sagen kann, hat er sich zurechtgelegt. Das ist gut.
«Guten Tag. Ich bin Henning.»
Tete braucht einen Moment. «Du bist Henning! Ich hab schon viel von dir gehört. Komm rein!»
Henning sieht sich um und versucht herauszufinden, in was für eine Situation er sich gebracht hat. Tete ist ihm auf Anhieb sympathisch. Er findet einen passabel aus sehen den Mann mittleren Alters, also Anfang dreißig. Magen falten hat dieser Sie um den Mund.
«Steffen ist nicht da. Er ist in der Sauna.»
«In der Sauna?», fragt Henning. In die Sauna gehen hauptsächlich ältere Leute um ihre Gesamtkonstitution auf zu bessern. Und im Winter.
«In der Sauna», bestätigt Tete. «Willst du Kaffee?»
Henning bejaht erleichtert. «Und wann kommt er wie der?»
«Keine Ahnung. Irgendwann nachts. Die Sauna hat auf bis sechs in der Frühe. Er rechnet nicht damit, dass du kommst, oder?»
«Nein.» Henning stockt und blickt zu Boden.
«Schon gut!», lacht Tete. «Ist in Ordnung. Du hast dich einfach in den Zug gesetzt und bist deinem Liebsten hin ter hergefahren. Sehr vernünftig. — Der alte Rumtreiber!»
Henning lächelt. Er nimmt die Tasse entgegen, die Tete ihm reicht. Tete gibt sich ein bisschen Mühe, nicht so tun tig zu wirken, um den Kleinen nicht zu erschrecken. Er fah rungsgemäß klappt das aber nicht besonders lange. Schließlich will sie auch zeigen, wer sie ist. Jetzt sitzen sie an Tetes Küchentisch, haben Kaffee vor sich. Tete geniert sich ein bisschen für ihr Chaos vor dem Kleinen, der, schließt man aus seinen Klamotten, aus einer ordentlichen Familie kommt.
«Und was treibt dich her? Die Großstadt besehen?», fragt Tete blöde, um das Gespräch anzukurbeln.
«Also. Ich —», sagt Henning, dann trinkt er erst mal ein Schlückchen, um Zeit zu gewinnen. Was will er eigent lich hier? Als er zu Steffen gefahren ist, gestern, da wollte er zu Steffen und sich von dem Schreck erholen und die Lage besprechen. Rat holen vielleicht, auf jeden Fall aber zu seinem Freund, ob sie nun offiziell zusam men sind oder nicht: sein Freund. Dann war Steffen weg, und damit auch die L iebe. Vor allem will er Steffen sehen und wissen, was los ist. Er
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