Henningstadt
will hören, dass alles in Ord nung ist. — Er will liebgehabt werden, denkt Tete.
«Zu Steffen», sagt er kurz, bündig und leise. Um nicht zu sagen: tränenerstickt.
«Aber L iebes!», sagt Tete und streicht ihm mit der Hand über den Kopf. «Alles wird gut!»
Henning blickt ihr in die Augen. «Was hat Steffen denn erzählt? Warum ist er denn weggefahren und hat nichts gesagt.»
«Er hat dir nicht gesagt, dass er weg ist?»
«Es hat einen Zettel geschrieben. Wir waren verabre det, und nur der Zettel war da. Ich bin zu ihm gefahren, direkt nachdem ich meinen Eltern erzählt hab, dass ich schwul bin, weil ich bei ihm übernachten wollte. Dann war er nicht da.»
Tete holt tief Luft: «O Scheiße!» Sie rückt die Zucker dose hin und her. «Das feige Stück!»
«Und ich hab so eine Karte gefunden —»
«Was für ‘ ne Karte?»
«Von einem Lutz. Steffen soll anrufen, wenn er geil ist. Ich weiß nicht, ob er mit dem was hat.»
«Mit Lutz hat er bestimmt nichts. Mit Lutz hat er vor einem Monat Schluss gemacht. Die waren nicht lange zu sammen. Eigentlich gar nicht. Wegen Lutz brauchst du dir keine Gedanken zu machen.»
«Wegen was dann?»
Tete lächelt ihn an, um ihn aufzumuntern. Nichts kann Jugend ersetzen. Wie schön Henning ist! Henning macht sich eindeutig zu viel Sorgen. Er sieht ziemlich fertig aus. Ein blasser Junge. «Also Steffen hat ziemlich viel Unsinn er zählt. Ich glaube, ihm ist einfach die Decke auf den Kopf gefallen, da in eurem Henningstadt. Ich weiß auch nicht. Er hat halt auch ein paar blöde Erfahrungen mit Män nern gehabt, zum Beispiel mit diesem Lutz — in der letzten Zeit.»
Henning macht große runde Augen.
«Na ja. — Und mit deinen Eltern, wie war das?»
«Okay», sagt Henning. Dabei sieht er aus wie ein Häuf lein Elend. Und offenbar ist er lieber ausgewandert, als wieder nach Hause zu gehen. Da scheint ja irgendwas nicht zu stimmen, findet Tete. Andererseits ist sie froh, nicht auf zwei Hochzeiten trösten zu müssen. Denn was das mit Steffen geben wird, weiß sie auch nicht. Wo die Liebe hinfällt, ist das eine, ob sie aufblüht, das andere. Steffen jedenfalls hat seine Leidenschaft fürs Gärtnern zur Zeit verlegt.
«Ich glaube — also ich glaube, das ist aber nur meine Meinung über das, was Steffen erzählt hat —, dass er ein fach Angst hat.»
«Steffen hat Angst?»
«Steffen hat Angst vor Enttäuschung und will es lieber erst gar nicht versuchen.»
«Meinst du, er liebt mich nicht?»
Tete macht eine Pause. «Das hab ich nicht gesagt. Im Gegenteil. Aber er ist müde von der Liebe. Er ist müde von den Enttäuschungen. Er ist — er hat einfach Angst.»
Henning nickt. Wovor hat Steffen Angst?
«Gut. Lass uns was unternehmen! Hast du Lust? Du kannst sowieso nichts machen, bis er wieder hier ist! Bes ser ist das, als hier depressiv rumzuhängen.» Man muss auch streng sein können. «Willst du dich vielleicht frisch machen? Duschen? Oder willst du schlafen?»
«Kann ich bei dir übernachten?»
«Ja, sicher.»
Henning will duschen. «Die Dusche ist gleich hinter dir», sagt Tete. Das Wessikind dreht sich zweifelnd um, und der weiße Kasten ist in der Tat die Dusche. Er fängt an sich auszuziehen. «Soll ich rausgehen?», fragt Tete. Aber eigentlich hat sie keine Lust, ihre Küche zu räumen, wenn da mal was Nettes passiert. Henning schüttelt den Kopf. «Und wie geht die?»
«Man stellt die Temperatur hier ein, der Boiler ist an, und dann dreht man das Wasser auf, ganz normal.» Hen ning hat einen strahlenden Oberkörper. Auch wenn sie nicht unbedingt auf junges Gemüse steht, findet sie ihn hinreißend süß. So süß, dass sie sich aus Taktgefühl um dreht und irgendwas am Küchenschrank f ummelt, als auch die Hose fällt. «Du könntest einfach duschen, bis Stef fen wiederkommt, ich glaube, das würde alle Proble me lösen.»
«Danke für die Blumen!»
Aha, denkt Tete, er denkt heimlich. Laut sagt sie: «Gönn einer alten Frau das kleine Vergnügen!» Sie flötet das in den Küchenschrank, konkret in das Fach mit den Tees, die sie bei ihren Anfällen von Gesundungswahn benutzt. Es rumpelt, und als sie sich umdreht, hat Hen ning die Tür der Dusche weit aufgerissen und fragt sie: «Bin ich schön?» Tete macht eine Kunstpause.
«Das Universum beglückwünscht sich zu deiner Exis tenz, mein Schöner!» Keine schlechte Antwort, findet Hen ning, wenn man bedenkt, dass die Szene improvisiert war.
Tete setzt sich wieder an den Tisch und sieht Henning zu,
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