Henningstadt
wie er sich abseift, sauber spült, den neu gewonnenen Körper genießt. Ein kleiner Exhibitionist ist er. Er kriegt wieder Farbe ins Gesicht. Dampfschwaden steigen zur Küchendecke auf. Ist man ehrlich, hat er vielleicht eine kleine Tendenz zur Hühnerbrust, aber nur, wenn man, wie Tete, auf übertrainierte Herren steht, die man nicht leiden kann, weil sie ihre Zeit im Fitnessstudio verplem pern. Tete nippt an ihrem Kaffee.
Henning will nicht schlafen. Tete will nicht mit Hen ning zu ihrer Verabredung mit Steffen in die Sauna. Sie glaubt nicht, dass es viel Sinn machen würde, Henning auseinander zu setzen, dass es gar nichts bedeutet für ihn und Steffen, wenn Steffen in die Sauna rennt.
Sie fahren Sightseeing zur Museumsinsel und sehen sich die alten Klötze im Mondlicht an. Tete zeigt Henning, wie die S-Bahn durchs Pergamonmuseum fährt und wo man ans Ufer gehen kann um am Wasser zu sitzen. Bei einem Döner haben sie Bier geholt und beschauen das fließende Wasser. Henning findet die Aussicht auf die grü nen Ranken an den alten klassizistischen Gebäuden hinter der Spree wundervoll. Er kriegt Lust, hierher zu zie hen. Tete lässt sich über ihr Leben ausfragen. Dann erzählt sie von Steffen früher.
Sie gehen rüber zur Orangenschlösserstraße. Henning hat Gelegenheit, die jüdische Synagoge, die Nutten und das Tacheles zu bestaunen.
Sie setzen sich in eins der Café s.
«Sag mal, Tete, hast du eigentlich einen Freund?»
«O, böses Thema! Ich und die Männer. Weißt du, wenn ich mit jemandem zusammen bin —»
«Ja?»
«Es läuft immer auf Hassliebe hinaus: Er liebt mich und ich hasse ihn!»
Henning lacht.
«Nächstes Thema!», sagt Tete.
«Was machst du so?»
«Ich sammle Fotos von mir.»
Henning grinst.
«Beruflich?», hakt er nach.
«Hauptberuflich. Oder besser gesagt, aus Berufung.»
Henning bestellt Sekt für beide. «Vielleicht macht dich das gesprächiger!», raunt er ihr zu. Tete merkt, wie sie auf den Charme des Kleinen anspringt. Wenn er nur zwei De ka den älter wäre ...
«Du willst es wissen, ja? Also beruflich. Ich bin Grafi kerin, wie Steffen. Aber als Lehre. Dann hatte ich die Nase voll von der Werbescheiße und hab so dies und das ge macht, und zur Zeit arbeite ich in einem Kindergarten.»
«Und wie ist das?»
«Ach, ich liebe Kinder. Hätte ich mir früher auch nie träumen lassen, aber es ist wirklich schön. — Abgesehen davon, dass es schlecht bezahlt wird und anstrengend ist.»
«Und du sagst denen, dass du schwul bist?»
«Ich bin nicht schwul.»
«Was?» Henning lacht.
«Na ja. Ich bin eine Tunte, ich bin schwul, ich bin Kin dergärtnerin und Sekttrinkerin. Das sind doch alles hirn lose Kategorien, Schubladen!»
«Na ja, ist doch — also — aber es gibt sie doch, diese Kate gorien!»
«Ganz ohne Zweifel, o Henning. Wie denn auch an ders?»
«Und sie sind falsch.»
«Ganz wie du sagst, wie sollten sie auch nicht? Alle Ur teile sind Vorurteile und alle Vorurteile sind zumindest ungesichert. Kategorien sind nichts. Sie sind Wörter. Sie leiten dein Denken auf bestimmte Wege. Dadurch verhin dern sie, dass du die weglose Ebene durchdenken kannst. Begriffe, Kategorien schneiden ab. Wörter sind Vorurteile! Sie sind Schubladen. Und je größer das Wort, desto klei ner die Schublade. Begriffe sind die Autobahnen deines Denkens. Sie führen dich durch den Faktendschungel, und die Abgase, die dabei entstehen, rotten den Urwald schließlich aus. — Nur leider schwimmt man ohne sie in einer unglaublich dicken Soße ungebundener Fakten und Daten und wahrscheinlich ertrinkt man, weil man auch nicht mehr weiß, wo oben und unten ist.»
Tete hält sich an der Tischkante fest und atmet durch.
«Und was soll ich mit den Kategorien machen?»
«Vergiss sie! Vergiss sie einfach! Weg damit!»
«Soll ich vergessen, dass das ein Haus und das ein Glas ist? Dass etwas gut oder schlecht ist?»
«Hmja», setzt Tete an, weiß aber auch nicht weiter. Ein Verb, ein Verb, ein Königreich für ein Verb! Was soll er mit den Kategorien machen?
Um von ihrer momentanen Denkschwäche abzulen ken, gurgelt Tete mit dem Sekt. Dann hat sie ’ s: «Gut auf heben, mein Lieber!»
Henning sieht ihr forschend in die Augen. «Und was heißt das für Steffen und mich?»
«Nichts.»
«Na super!»
«Hm.»
Tete und Henning müssen grinsen.
«Wir nennen unser Mahl ein Haus, sagt eine Gegen warts lyrikerin, die übrigens auch diesen Roman lektoriert hat. Nenn euren Sex ein Zuhause. Nenn euch zwei
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