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Henningstadt

Henningstadt

Titel: Henningstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Brühl
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ein Wi r» , sagt Tete.
    Es entsteht eine Pause, in der Henning nachdenkt und Steffen und sich probeweise ein Wir nennt. Philosophie, wie er sie hier live erleben durfte, lässt sich eben nicht so ohne Weiteres auf ein Leben übertragen. Das weiß Tete auch.
    «Und was hat diese Lyrikerin gesagt? Zum Roman?»
    «Sie hat gesagt, die Affäre mit Steffen und Rainer sollte man streichen.»
    «Welche Affäre? Wann?», fährt Henning erschrocken auf.
    «Mach dir keine Gedanken. Ich hab sie gestrichen! Es gibt sie nicht mehr. Es hat sie nie gegeben.»
    «Also das mit Lutz reicht ja wohl auch!»
    «Ja, ja! Du bist halt eine empfindsame Seele, Henningschatz!»
    «Was war das für ein Typ. Wann, wann, wann? Du kannst es mir sagen. Ich will es nur wissen! Es ist okay.»
    Tete legt ihre Hände beruhigend auf Hennings Kopf: die Daumen auf die Stirn, die Handflächen locker auf der Kuppe des Kopfes. Ihre Berührung ist sanft und warm. Hen ning lehnt sich entspannt zurück und genießt ihre Gegenwart.
    «Es ist nie passiert, verstehst du?», sagt Tete. «Alles ist nur ein Roman!»
    Erst lacht er auf. Dann werden seine Augen zu Schlit zen: «Alles?», hakt er nach.
    «Alles!», sagt Tete.
    Henning macht die Augen zu. Ein angenehmer Schwin del überkommt ihn. Das Nachbild der Kerzen flam me tanzt vor seinen geschlossenen Lidern. Muster bilden sich, der Sekt wirkt. Er vergisst, wo er ist. Er ver gisst den Raum. Dann vergisst er die Dinge, die darin sind. Dann vergisst er die Zeit, in der die Dinge existiert haben. Ohne die Dinge kann sie nicht vergehen; es gibt sie nicht.
    Henning blinzelt, sieht in die Kerzenflamme zwischen Te-tes Armen. Sie hält seinen Kopf. Das Tischchen steht zwischen ihnen. Man hört Musik. Die Gespräche der Leu te an den anderen Tischen gehen als Raunen durch die Kneipe. Man versteht nichts, man weiß nur, sie sprechen.
    Tete senkt den Kopf. Ihre Blicke treffen sich in der Kerzenflamme. Sie verschmelzen.
    Henning macht die Augen zu. Hinter seinen geschlos senen Lidern tanzt Tetes Blick. Tete sieht sich in Henning, als sie die Augen zumacht. Das Nachbild der Flamme in ihren Augen tanzt. Sie sehen dasselbe. Es gibt keinen Un terschied zwischen ihnen beiden.
    Sie fühlt Hennings Wärme. Ihre Hände sind ganz warm. Henning spürt Tetes Hände. Sie denken nicht. Sie denken den anderen, wenn sie sich denken. Ihr Denken verwirrt sich zu einem unauflösbaren Mischmasch. Sie sind eins.
    Sie verbringen eine gute Zeit in Einheit mit sich und dem gedankenlosen Universum, das man hassen müsste, wenn man es nicht selber wäre.
    Sie haben blasse und leere Gesichter, wie sich das ge hört, wenn man aus den unendlichen Weiten des Weltalls zurückkehrt in eine Kneipe in Mitte: Sie schlagen die Au gen auf. Jetzt blendet die Kerze. Henning pustet sie aus. Sie sehen sich in die Augen. Sie sehen nichts. Man kann sich nicht selbst in die Augen schauen.
    Dann lächelt Tete, und mit dem Lächeln kommen die Fäl t chen wieder, kommt alles wieder, woran er ihr Ge sicht erkennen kann. Er lächelt zurück.
    Tete rülpst genießerisch. Henning bestellt ihr noch ein Sektchen.
    Die beiden stoßen an. «Auf Steffen und dich!», toastet Tete.
    Henning seufzt und sieht plötzlich ganz unglücklich aus. «Ach komm! Das wird schon! Nur Mut! Gib ihm einen Vorschuss an Vertrauen!» Du bist doch noch jung!, hätte sie fast angefügt. Henning produziert ein Lächeln auf sein Gesicht und stößt zu. Die Gläser klingen. «Na, also!», sagt Tete. «Und wenn ihr dann zu Hause seid, kochst du ihm mal was Nettes! Alle Jungs mögen das, es erinnert sie so an Mutti.»
    Henning glaubt einen leicht bösartigen Ton zu hören. «Kann es sein, dass du Steffen und mich nicht ernst nimmst?», fragt er. Aber kichern muss er auch.
    «Nein, wo denkst du hin!», beteuert Tete. «Und damit du das Rezept —» Sie unterbricht sich. «Oder kannst du kochen?»
    «Nein.»
    «Jeder Mensch kann kochen! Okay. Aber damit du das Rezept nicht aus dem kollektiven Unbewussten schöpfen musst, verrate ich dir eins: ein Geheimtipp! Du besorgst zwei Schweineschnitzel, schneidest sie klein, legst ein paar Stücke in eine Auflaufform, streust eine halbe Tüte Zwiebelsuppe darüber und gießt es mit Sahne auf. Dann die nächste Schicht. Wieder Schnitzel, Suppe und Sahne. Das Ganze in den Backofen. Bei zweihundert Grad fünf und dreißig Minuten. Dazu Nudeln. Schmeckt fantas tisch!»
    «Okay. Hoffentlich will er sich von mir bekochen las sen.»
    «Willst du mit Steffen zusammen

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