Henry - Das Buch mit Biss (German Edition)
verwandeln.
Dafür
wusste ich zu gut, wie es sich anfühlt, wenn man alle paar Jahre umziehen muss.
Wenn man immer eine Rolle spielt und gezwungen ist, sich von den Menschen
fernzuhalten, die man insgeheim für ihre Sterblichkeit beneidet. Man hat kaum
Freunde und wenn, dann musste man sie früher oder später vergraulen, damit sie
nicht erfahren, dass ihr ach so lieber Kumpel des Nachts ihre Mütter aussaugt.
Nie verändert man sich, egal wie oft man in den Spiegel schaut.
Ein
Leben, das potenziell unendlich dauert, verliert enorm an Wert, schätze ich.
Wahrscheinlich macht gerade der Aspekt, dass man sich beeilen muss, einen
mutiger.
Für
die Lebenden gibt es einmalige Gelegenheiten, die alles entscheiden. Man
verfolgt seine Ziele mit mehr Willenskraft, anstatt Gefahr zu laufen, in ewiger
Lethargie vor sich hinzuvegetieren. Die Verwandlung in einen Vampir ist zudem
äußerst schmerzhaft; ich denke nur mit Grauen an meine eigene zurück. Wenn du
stirbst und als Vampir wiedergeboren wirst, musst du alles hinter dir lassen,
so heißt es.
Ich hatte eine Mutter.
Ihr Name war Susanne Mercier. Sie hatte warme braune Augen, dunkelblondes Haar
und eine wunderbare Singstimme. Sie war elegant und zierlich und ich liebte sie
mehr als alles auf der Welt.
Ich
hatte einen Vater, Louis. Er war groß und dunkelhaarig. Ein Astronom. Jedes
Mal, wenn ich in den Nachthimmel schaue, denke ich an ihn.
Und
ich hatte eine Schwester namens Catherine. Damals war sie 20 und verliebt, auch
wenn mir das nach wie vor eine schlechte Entschuldigung zu sein scheint. Aber
sie wusste es nicht besser.
Sie
hatte Antoine geheiratet ehe sie ahnte, was er eigentlich war. Seit ihrer
zweiten Taufe ist ihr Name Isobell. Es heißt, ein neuer Name mache es einfacher,
sich von seinem alten Leben zu lösen.
Wer
diesen Quatsch erzählt, wüsste ich zu gern.
Es
macht gar nichts leichter.
Man
belügt sich selbst, das ist alles.
Als
ich an Schwindsucht erkrankte und dem Tod näher war als dem Leben, verwandelte
mich ihr Mann ebenfalls und ich ließ meinen wahren Namen, meine Eltern und mein
ganzes Leben in dem weißen Krankenbett zurück.
Ich
starb.
Und
wurde als Mathurin wiedergeboren.
Die
Verbindung der beiden hielt nicht lange und Antoine trennte sich alsbald von
meiner Schwester.
So
zogen wir zwei allein los. Verließen Frankreich, unsere geliebte Heimat, und
setzten nach Amerika über.
Unsere
Eltern ließen wir in dem Glauben, wir seien tot. Diese halbe Lüge sollte es
ihnen einfacher machen, sich von uns zu lösen.
Erst
ihre Tochter, die sie verließ um einen Mann zu heiraten, den sie nie zu Gesicht
bekamen. (Ich erinnere mich noch genau an das Gesicht meiner Mutter, als sie
damals den Arzt anstarrte, der ihr mitteilte, dass ihre geliebte Tochter im
Kindbett verstorben sei. Wenn ich daran zurückdenke, zerreißt es mir noch heute
das Herz.)
Kurz
darauf ihr Sohn, der seiner Schwindsucht erlag.
Sie bekamen ein drittes
Kind, Jean.
Als
ich ihn das erste Mal sah, war er etwa acht Jahre alt.
Wenn
man unsterblich ist, verliert man jegliches Zeitgefühl. Wie seltsam es war,
meine Mutter mit diesem Jungen zu sehen. Ich freute mich, dass sie ein weiteres
Kind bekommen hatte und doch wuchs das Gefühl, sie für immer verloren zu haben.
Jean
war schon groß. War ich so lange fort gewesen?
Ich
habe nie ein Wort mit ihm gewechselt.
Es ist
schwer zu erklären, denn obwohl ich ihn nie als meinen kleinen Bruder sehen
konnte, liebte ich ihn. Ich liebte ihn, weil er meine Mutter wieder glücklich
machte.
Mittlerweile sind sie
alle tot. Meine Mutter, mein Vater, Jean, seine Frau und ihre drei Kinder.
Es
gibt keinen Grund, traurig zu sein. Sie haben ihr Leben gelebt. Ich habe ihnen
dabei zugesehen. Heimlich. Aus Fenstern, hinter Häuserecken und Bäumen
verborgen.
Alle
paar Jahre kehrte ich in meine Heimat zurück und riskierte einen Blick, wie
Jean von einem Kind zu einem Mann heranwuchs. Wie sein Gesicht, das dem unserer
Mutter so ähnelte, seine kindlichen Züge ablegte. Wie er heiratete. Kinder und
Falten bekam. Wie er nicht mehr ohne Krückstock laufen konnte und sein linkes
Bein lahmte. Starb.
Ich
glaube, seine Kinder hatten nun ebenfalls Kinder, aber ich habe aufgehört, nach
ihnen zu suchen.
Wenn
Hannah wirklich glaubte, dass ich das irgendwem antun wollte, dann kannte sie
mich schlecht.
So
sehr ich Kaylen auch mochte, ja vielleicht sogar liebte, ich hatte von Anfang
an gewusst, dass wir nicht die Ewigkeit miteinander verbringen
Weitere Kostenlose Bücher