Henry - Das Buch mit Biss (German Edition)
würden. Dafür
war selbst ich nicht egoistisch genug.
„Du grübelst mal wieder
zu viel!“
Ich
schreckte hoch.
„Und
mach diese furchtbare Musik aus. Davon kann man ja nur taub und depressiv
werden.“ Isobell hatte die Hände in die Hüften gestützt.
Ich
drehte die Musik leiser.
„Was
willst du?“ Ein Fels, sei ein Fels, redete ich mir ein. Du fühlst nichts. Du
bist aus Granit. Ein gefühlloser Steinbrocken.
Kaum
war Isobell einen Schritt näher an mich herangetreten, gruben sich Sorgenfalten
in ihre helle Stirn. Meine miese Aura hatte sie sofort geschluckt.
„Matti…“,
seufzte sie. „Rede doch mit mir.“
Ein
Fels! Du bist ein Fels verdammt nochmal!
„Es
tut mir weh, dich so zu sehen.“
„Dann
schau halt weg!“, schnauzte ich sie an, doch natürlich ließ sich meine große
Schwester davon nicht einschüchtern.
„Liegt
es an deinen Freunden?“
„Welche
Freunde?“, antwortete ich und bemerkte mit Entsetzten, wie bitter ich klang.
Nicht mehr viel, und ich verkrümelte mich in eine Zimmerecke und bemitleidete
mich selbst. Die schwarzen Haare und das blasse Gesicht hatte ich ja schon.
Isi
setzte sich neben mich und strich mir durchs Haar. Warum behandelte sie mich
immer wie einen kleinen Jungen? Doch mein Widerstand hielt nicht lange und ich
ließ mich von ihr umarmen. Es sah ja keiner zu, von daher ging das in Ordnung.
Und wenn es Isi dadurch besser ging…
Kapitel 21
Ein nächtliches Stelldichein
Eine weitere Woche
verstrich, in der ich mich in meiner Einsamkeit und dem Gefühl, dass ich der
ganzen Welt egal war, suhlte.
Ich
konnte mich selbst nicht ausstehen und es war mir ein Rätsel, wie ich all die
Jahre so hatte aushalten können.
Doch
dann hörte ich eines Nachts, wie jemand kleine Steinchen gegen mein Fenster
warf.
Ich
hievte mich von meiner Couch und öffnete das Fenster.
Zu
meinem Erstaunen fiel mein Blick auf einen jungen Mann mit unordentlichem Haar
und einer abgewetzten Lederjacke.
„Was
willst du denn hier?“
Ich
klang wohl recht unfreundlich, denn Jeremy verzog das Gesicht.
„Begrüßt
du die Leute immer so freundlich?“
„Oh,
Verzeihung, Romeo. Soll ich mein Haar herunterlassen, damit du dran
raufklettern kannst?“
Jeremy
bückte sich und im nächsten Moment flog ein faustgroßer Stein an meinem Kopf
vorbei und schlitterte geräuschvoll über meinen Holzboden.
„Hey,
was soll das?!“
„Das
wollte ich eigentlich dich fragen“, rief Jeremy zu mir herauf.
„Schh,
nicht so laut!“ Ich horchte auf den Rest des Hauses.
Wir
Vampire schlafen nicht. Kassia spielt oft Cello, Lysander liest und Isobell
näht. Jeder von uns versucht sich die Zeit irgendwie zu vertreiben, wenn wir
nicht auf der Jagd oder auf Reisen sind. Doch heute Abend war es verdächtig
still.
Wenn
Kassia ihn hier sah, dann–
„Du
bist hier doch derjenige, der schreit.“
„Ich
hab gesagt, dass du still sein sollst, du Hund. Ich komm zu dir runter.“
Leichtfüßig
wie eine Elfe sprang ich aus meinem Fenster und verknickte mir bei der Landung den
Knöchel.
„Sehr
elegant“, prustete Jeremy.
„Ach
halt die Klappe. Komm, wir gehen in den Wald.“
Jeremy
zog eine Augenbraue hoch. „Bitte, wenn du darauf bestehst. Aber wehe du fängt
auf einmal an, mich zu befummeln.“
Ich
boxte ihn in den Magen. „Als würde dir das nicht gefallen.“
„Also, warum wolltest du
mich so unbedingt sprechen? Sag bloß, du hattest Sehnsucht nach mir.“ Ich
grinste schräg.
Jeremy
schüttelte den Kopf. „Es ist wegen Hannah.“
Das
Grinsen verging mir augenblicklich. „Oh.“
„Sie
ist stinksauer auf dich, aber mit mir will sie nicht reden. Ich wollte wissen,
was du verbockt hast.“
„Aha,
und deswegen tauchst du mitten in der Nacht bei mir Zuhause auf?“
„Ja.
Ich dachte ihr Blutsauger steht auf Dunkelheit.“ Seine grauen Augen glühten im
Mondlicht.
Wie
hatte ich es nicht merken können, dass der Kerl nicht richtig tickte? Es war so
offensichtlich, dass da etwas Animalisches in ihm steckte.
Ich
zuckte mit den Schultern. „Ist oft eher eine Notwendigkeit.“
Jeremy
kaute unsicher auf seiner Lippe. Das war nicht der eigentliche Grund. Was
wollte er?
„Ich
habe da dauernd diese Träume.“
Nun
war ich wirklich gespannt.
„Träume?“,
sagte ich trocken. „Und deswegen kommst du zu mir. Hast du Angst vor deinem
Kopfkissen?“
„Ich
sehe dauernd Bruchstücke von einem Ball, tanzende Leute. Ich weiß auch nicht…“
In
meinen Fingerspitzen begann es zu
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