Henry - Das Buch mit Biss (German Edition)
die verlassenen Straßen von
Arlington. Hannah war wie eine Schwester für mich. Es war so leicht, bei ihr zu
sein. So leicht, ich selbst zu sein.
Ich
musterte ihr Profil und spürte eine jähe Anwandlung von Aufgeregtheit.
Bist
du bekloppt?! Henry, das kann nie und nimmer dein Ernst sein. Hannah ist dein
Kumpel. Sie ist ein Werwolf. Und sie will dich gar nicht! Schlag dir das aus
dem Kopf!
Doch
wie so oft hatte mein Hirn nichts zu melden.
Hannahs
Schönheit war anders als die von Kaylen oder Angeline. Sie hatte etwas
Verborgenes, dass sich nur nach und nach offenbarte. Wie eine Blüte, deren
äußere Blätter unscheinbar schienen, doch deren Inneres, welches sich nur dem
Geduldigsten von allen zeigte, schöner war, als alles andere.
Maaan,
hast du dich in letzter Zeit mal selbst denken gehört?, dröhnte die Stimme in
meinem Inneren höhnisch. Ich schüttelte den Kopf, um sie zu vertreiben.
„Was
ist eigentlich so toll an Jeremy?“ Der Satz platzte aus mir heraus, ehe ich mir
über dessen Konsequenzen bewusst war.
Hannah
sah mich an. Ihre grünen Augen leuchteten im Mondschein. Ich spürte, wie mir
die Knie weich wurden.
Ich
war mir sicher, dass sie mit einer Gegenfrage antworten würde. Mich vielleicht
verspotten würde.
Doch
ich täuschte mich.
„Ich
mochte Jeremy schon seit wir noch Kinder waren“, begann sie leise, mit einem stillen
Lächeln auf den Lippen, als sie an diese vergangenen Tage zurückdachte. „Aber
ich war schon damals zu schüchtern, es ihm zu sagen. Dann, nach dem Tod meiner
Eltern, kam er mich jeden Tag besuchen. Er meinte immer, seine Mom hätte ihn
geschickt um nach mir zu sehen, doch ich merkte, dass er sich wirklich Sorgen
um mich machte. Seit dem ist er immer an meiner Seite.“
Ich
beobachtete ihr Gesicht, während wir durch die Gegend schlenderten, und jedes
Anzeichen von Liebe in ihren Zügen sorgte dafür, dass ich mich gleichzeitig
stark und schwach fühlte.
Diese
Liebe galt nicht mir, so viel wusste ich.
Trotzdem
konnte ich nicht umhin, dass der Anblick mein totes Herz erwärmte.
„Ich
bin auch an deiner Seite“, meinte ich plötzlich, und wollte mir schon auf die
Zunge beißen. Wie einfältig das klang. Fast wie ein schmollendes Kind.
Doch
Hannah lächelte. „Ich weiß.“
Ich
hielt an. Nahm ihre Hand.
Sie
sah mich mit großen Augen an. „Was –“, setzte sie an, doch ich unterbrach sie.
„Lass…
lass mich das sagen, solange ich das kann, okay? Hast du dir schon einmal
überlegt, dass du und ich… ich meine, dass wir mehr sein könnten als nur
Freunde?“
Hannah
senkte ihren Blick. Nach einer Weile, die mir wie ein ganzes Leben schien,
flüsterte sie ein leises Ja.
Vielleicht
hatte ich es mir nur eingebildet. Vielleicht hatte sie es gar nicht gesagt, und
meine Ohren spielten mir einen Streich, doch allein die Vorstellung genügte
mir.
Ich
beugte mich zu ihr hinunter und küsste sie.
Es war
ein kleiner Kuss, kaum mehr als das flüchtige Aufeinandertreffen unserer
Lippen, doch in diesem Moment war alles außer Hannah vergessen.
Kaylen,
Angeline, Jeremy, Kassia, Nero, sie alle waren für den Bruchteil einer Sekunde
verschwunden, so als hätte es sie nie gegeben.
Hannah
stieß mich von sich. Nicht so heftig, wie sie Nero von sich gestoßen hatte,
doch auch nicht besonders zaghaft.
„Ich
liebe Jeremy“, sagte sie erst heftig, dann eine Spur sanfter. „Ich liebe ihn.“
Obwohl
ich es wusste, obwohl ich es die ganze Zeit gewusst hatte, zerbrach etwas in
mir, als Hannah es aussprach.
Ich
nickte zerstreut. „Klar, ich meine, tut mir leid.“
Hannah
wollte mich am Arm packen, mich vermutlich trösten, doch ich entwand mich ihr.
Jede weitere Berührung von ihr würde unerträglich sein, da war ich sicher.
„Er
liebt dich auch“, sagte ich, und ging, ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen.
Wie
betäubt wankte ich zu meinem Polo. Fuhr die dunklen Straßen entlang, die Augen
starr auf die gelben Mittelstreifen gerichtet, die in so kurzen Abständen an
mir vorbeizogen, dass sie zu flackern schienen.
Mein
Kopf war leer. Ich fühlte nichts. Gar nichts.
Als
hätte es all die Jahre als Vampir nicht gegeben.
In
Wahrheit war all das nur ein Traum, und ich war in jener Nacht gestorben, als
Siebzehnjähriger.
In den
Armen meiner Mutter.
Tot. Für
immer.
Lacht
nur, ich bin eben ein Weiei.
Kapitel 40
Der Plan
Ich weinte nicht. Nahm
keine Schlaftabletten oder schlug in mein Kissen. Diese Zeiten waren endgültig
vorbei. Die darauffolgenden Stunden
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