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Henry dreht Auf

Henry dreht Auf

Titel: Henry dreht Auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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eindeutig Wilt galt. Der kleine Trupp setzte sich treppauf in Bewegung, vorbei an einer Englischklasse, die gerade eine Stunde von Mr. Gallen über »Das Element der ländlichen Idylle in Wordsworths  Prelude« hinter sich hatte und folglich auf das urbane Element in Form von Wilts blutender Nase völlig unvorbereitet war. Mrs. Bristol erging es nicht anders. »O je, Mr. Wilt, was haben Sie sich denn getan?« fragte sie. »Sie hat Sie doch nicht etwa angegriffen?«
    »Sagen Sie’s ihnen«, drängte Wilt. »Sagen Sie es ihnen.«
    »Was soll ich denn sagen?«
    »Was Sie mir gesagt haben«, fuhr Mr. Wilt sie an, doch Mrs. Bristol war viel zu besorgt um seinen Zustand, und die Anwesenheit des Direktors samt Stellvertreter hatte sie noch nervöser gemacht. »Sie meinen die Sache mit ...«
    »Ich meine ... scheren Sie sich nicht drum, was ich meine«, herrschte Wilt sie an. »Sagen Sie denen einfach, was ich in der Damentoilette gemacht habe, und damit hat’s sich.« Jetzt spiegelte Mrs. Bristols Gesicht totale Verwirrung wider. »Aber das weiß ich doch nicht«, sagte sie. »Ich war ja nicht dort.«
    »Ich weiß verdammt gut, daß Sie nicht dort waren. Was die Herren wissen wollen, ist, warum ich dort war.«
    »Also ...«, begann Mrs. Bristol, um sogleich den Faden wieder zu verlieren. »Haben Sie es ihnen denn nicht gesagt?«
    »O heilige Einfalt«, rief Wilt, »können Sie es denn nicht endlich ausspucken? Ich stehe hier und werde von Miss Harenstein da drüben beschuldigt ...«
    »Wenn Sie mich noch mal so nennen, wird Ihre eigene Mutter Sie nicht wiedererkennen«, fauchte Miss Hare ihn an. »Da sie seit zehn Jahren tot ist, halte ich das nicht für ausgeschlossen«, entgegnete Wilt und zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück. Als es schließlich gelungen war, der sportlichen Dame Einhalt zu gebieten, versuchte der Direktor, endlich Licht in diese zunehmend verworrenere Situation zu bringen. »Könnte mir jetzt bitte jemand erklären, was es mit dieser unerquicklichen Angelegenheit auf sich hat?« fragte er.
    »Wenn jemand das kann, dann sie«, sagte Wilt, während er auf seine Sekretärin zeigte. »Immerhin hat sie mich hingehetzt.«
    »Sie hingehetzt, Mr. Wilt? Dergleichen habe ich nie getan. Ich habe doch nur gesagt, daß in der Damentoilette ein Mädchen mit einer Injektionsspritze ist und daß ich nicht weiß, wer sie ist und ...« Eingeschüchtert durch den entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht des Direktors hielt sie inne. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Sie haben in der Damentoilette ein Mädchen mit einer Injektionsspritze gesehen? Und haben Mr. Wilt davon berichtet?«
    Mrs. Bristol nickte benommen.
    »Wenn Sie ›Mädchen‹ sagen, dann darf ich wohl annehmen, daß Sie keine Angehörige des Lehrkörpers meinen?«
    »Ganz recht. Sonst hätte ich sie sicher erkannt, obwohl ich ihr Gesicht nicht zu sehen bekam. Und dann hatte sie diese scheußliche Spritze voller Blut und ...« Sie warf Wilt einen hilfesuchenden Blick zu.
    »Sie haben gesagt, daß sie sich Drogen spritzte?«
    »Solange ich in dieser Toilette war, war sonst niemand drin«, stellte Miss Hare fest. »Das hätte ich doch gehört.«
    »Möglicherweise war es ja jemand mit Diabetes«, meinte der Stellvertretende. »Vielleicht eine ältere Schülerin, die aus naheliegenden Gründen nicht das Schülerklo benützen wollte.«
    »Ja, natürlich«, sagte Wilt. »Schließlich wissen wir doch alle, daß Diabetiker mit blutgefüllten Spritzen rumlaufen. Sie hat offensichtlich angezogen, um die maximale Dosis zu kriegen.«
    »Angezogen?« wiederholte der Direktor kraftlos. »Die Junkies machen das so«, erklärte der Stellvertretende. »Sie injizieren sich was, und dann ...«
    »Ich will es gar nicht wissen«, sagte der Direktor.
    »Also, wenn sie Heroin gedrückt hat ...«
    »Heroin! Das fehlte uns gerade noch«, sagte der Direktor und setzte sich völlig niedergeschmettert hin. »Wenn Sie mich fragen«, sagte Miss Hare, »dann ist die ganze Geschichte reine Einbildung. Ich war zehn Minuten da drinnen ...«
    »Und was haben Sie getan, außer mich kampfunfähig zu machen?« fragte Wilt.
    »Etwas Weibliches, falls Sie es unbedingt wissen wollen.«
    »Wie zum Beispiel Aufbaupräparate schlucken. Also da muß ich Ihnen sagen, als ich hinunterging – und ich war nicht länger als ...«
    Zur Abwechslung unterbrach ihn jetzt Mrs. Bristol. »Hinunter, haben Sie hinunter gesagt?«
    »Natürlich habe ich hinunter gesagt. Was haben Sie denn erwartet?

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