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Henry dreht Auf

Henry dreht Auf

Titel: Henry dreht Auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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unterrichtet. Ich bestehe darauf, daß diese ganze abscheuliche Angelegenheit in aller Offenheit behandelt wird.« Das freilich war so ziemlich das letzte, was der Direktor wollte. »Ich halte das wirklich nicht für klug«, sagte er. »Immerhin ist es doch möglich, daß Wilt ein ganz natürlicher Fehler unterlaufen ist.«
    Aber Miss Hare war nicht zu besänftigen. »Der Fehler, den Wilt gemacht hat, war durchaus nicht normal. Und außerdem hat Mrs. Bristol ja ein Mädchen gesehen, das sich Heroin spritzte.«
    »Das wissen wir nicht. Möglicherweise gibt es auch dafür eine ganz einfache Erklärung.«
    »Das wird die Polizei schon feststellen, wenn sie erst die zu der Nadel gehörige Spritze gefunden hat«, sagte Miss Hare unnachgiebig. »Also, wer ruft jetzt an, Sie oder ich?«
    »Wenn Sie mich so fragen, dann bleibt uns wohl keine andere Wahl«, sagte der Direktor und warf ihr einen haßerfüllten Blick zu, während er den Hörer abnahm.

Kapitel 4
    Wilt betastete vor dem Spiegel der Herrentoilette sein Gesicht. Es sah genauso übel aus, wie es sich anfühlte. Seine Nase war geschwollen, übers Kinn liefen breite Blutspuren, und außerdem hatte Miss Hare es geschafft, daß eine alte Verletzung über seinem rechten Auge wieder aufgebrochen war. Wilt wusch sich das Gesicht und dachte trübsinnig an Tetanus. Er nahm seinen Stiftzahn heraus und inspizierte seine Zunge. Auch wenn sie nicht, wie er erwartet hatte, doppelt so dick war wie sonst, schmeckte sie doch noch immer nach Desinfektionsmittel. Während er sich unter dem Wasserhahn den Mund ausspülte, kam ihm der zumindest für einen Augenblick erheiternde Gedanke, daß ein Tetanusbazillus bei einer derartigen Radikalkur wohl keinerlei Überlebenschance hatte. Er steckte den Stiftzahn wieder an seinen Platz und stellte sich wieder einmal die Frage, wieso er eigentlich Mißverständnisse und Katastrophen wie ein Magnet anzog.
    Das Gesicht im Spiegel blieb ihm die Antwort schuldig. Es war ein recht durchschnittliches Gesicht, und Henry gab sich keineswegs der Illusion hin, es sei von klassischem Schnitt. Doch war es bei aller Gewöhnlichkeit eben doch die Fassade, hinter der ein außerordentlicher Verstand lauerte. In früheren Jahren hatte er mit der Vorstellung kokettiert, es sei ein origineller Verstand oder zumindest ein individueller. Nicht, daß ihm das viel geholfen hätte. Jeder Verstand war irgendwie individuell, aber das allein machte noch niemanden so anfällig für Unannehmlichkeiten, um es milde auszudrücken. Nein, der eigentliche Grund war der, daß ihm einfach das Gefühl für die eigene Autorität abging.
    »Du läßt einfach zu, daß dir solche Dinge passieren«, sagte er zu dem Gesicht im Spiegel. »Allmählich wird es Zeit, daß du selbst die Initiative ergreifst.« Doch noch während er das sagtewußte er, daß es nie so weit kommen würde. Er konnte einfach kein dominierender Mensch sein, kein Machtmensch, dessen Befehlen man gehorchte, ohne Fragen zu stellen. Das entsprach nicht seiner Natur. Genauer gesagt, fehlte ihm der Antrieb und das Durchhaltevermögen, sich mit Details auseinanderzusetzen, Haarspaltereien in Verfahrensfragen zu betreiben, Verbündete zu gewinnen und Gegenspieler auszumanövrieren – mit anderen Worten, seine Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren, wie man Macht gewinnt. Schlimmer noch, er verachtete Menschen mit derartigen Ambitionen. Ihr Horizont beschränkte sich auf eine Welt, in der nur sie allein zählten, egal, was die anderen Menschen wollten. Solche Typen gab es überall, und überall hockten sie in Ausschüssen rum und spielten sich auf, mutmaßlich am schlimmsten in der Berufsschule. Es war höchste Zeit, ihnen Paroli zu bieten. Vielleicht würde er eines Tages ...
    Der Stellvertretende platzte herein und riß ihn aus seinen Tagträumen. »Ah, da bist du ja, Henry«, sagte er. »Ich dachte, ich sage dir lieber gleich, daß wir die Polizei rufen mußten.«
    »Weswegen denn?« fragte Wilt, plötzlich beunruhigt von dem Gedanken, daß Miss Hares Anschuldigungen Eva zu Ohren kommen könnten.
    »Drogen.«
    »Ach so. Das kommt etwas spät, findest du nicht? Das läuft doch schon, solange ich denken kann.«
    »Willst du damit sagen, daß du davon gewußt hast?«
    »Ich dachte, das haben alle. Ist doch ein offenes Geheimnis. Abgesehen davon liegt es auf der Hand, daß es unter so vielen Schülern auch ein paar Junkies geben muß«, sagte Wilt und verdrückte sich, während der Stellvertretende noch am Pissoir

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