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Henry dreht Auf

Henry dreht Auf

Titel: Henry dreht Auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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in die er noch nie einen Blick geworfen hatte.
    »Daß ich sie da gesehen habe.«
    »Wen und wo?«
    »Sie. Im Klo.«
    »Im Klo?« wiederholte Wilt, inständig hoffend, daß Mrs. Bristol nicht wieder eine ihrer Anwandlungen bekommen hatte. Vor einiger Zeit war sie völlig ausgerastet, als eines der Mädchen in Kuchen III in aller Unschuld verkündet hatte, daß es sich gerade drei Käsestangen reingeschoben habe. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Mrs. Bristol, wie es schien, ebensowenig. »Sie hat dieses Nadeldings und ...« Ihre Stimme versagte. »Nadeldings?«
    »Spritze«, hauchte Mrs. Bristol, »und sie steckte in ihrem Arm und ist voller Blut und ...«
    «O mein Gott«, sagte Wilt und eilte an ihr vorbei zur Tür.
    »Welches Klo?«
    »Das für Lehrerinnen.«
    Wilt blieb wie angewurzelt stehen. »Wollen Sie damit sagen, daß sich eine Angehörige des Lehrkörpers auf der Damentoilette mit Heroin vollpumpt?«
    Mrs. Bristol war drauf und dran, wieder auszuflippen. »Wenn es eine Lehrerin gewesen wäre, hätte ich sie erkannt. Es war ein Mädchen. So tun Sie doch etwas, Mr. Wilt. Vielleicht verletzt sie sich sonst noch.«
    »Da können Sie Gift drauf nehmen«, sagte Wilt, schoß über den Gang zur Treppe, eilte die Stufen hinab zur Damentoilette auf dem Treppenabsatz und stürzte hinein. Drinnen sah er sich sechs Kabinentüren, einer Reihe Waschbecken, einem langen Spiegel und einem Papierhandtuchspender gegenüber. Keine Spur von einem Mädchen. Andererseits war die dritte Tür verriegelt, und dahinter gab jemand gewisse Geräusche von sich. Wilt zögerte. In einer weniger verzweifelten Situation hätte er möglicherweise angenommen, daß Mr. Rusker, dessen Frau eine Ballaststoff-Fanatikerin war, wieder mal einen seiner problematischen Tage hatte. Aber schließlich benützte Mr. Rusker nicht die Damentoilette.
    Vielleicht konnte er einen flüchtigen Blick erhaschen, wenn er sich hinkniete. Wilt entschied sich dagegen. Erstens wollte er gar keinen Blick erhaschen, und zweitens dämmerte ihm allmählich, daß er sich in einer, gelinde gesagt, heiklen Situation befand und der Versuch, sich zu bücken, um unter einer Tür in der Damentoilette hindurchzuspähen, durchaus falsch interpretiert werden konnte. Es war daher besser, draußen zu waren. Das Mädchen – so es sich tatsächlich um eines handelte und nicht nur um eine Ausgeburt von Mrs. Bristols blühender Phantasie – mußte ja irgendwann herauskommen. Nach einem letzten Blick in den Abfallbehälter, der keine Spritze zutage förderte, schlich Wilt auf Zehenspitzen zur Tür.
    Er erreichte sie aber nicht. Hinter ihm öffnete sich die verschlossene Tür.
    »Hab ich mir’s doch gedacht«, dröhnte eine Stimme. »Ein schmutziger Voyeur!« Wilt kannte dieses Organ. Es gehörte Miss Hare, einer altgedienten Sportlehrerin, die er im Lehrerzimmer einmal ziemlich unüberhörbar mit Frankensteins Braut verglichen hatte. Eine Sekunde später wurde ihm der Arm auf den Rücken gedreht, und sein Gesicht machte Bekanntschaft mit der gekachelten Wand.
    »Sie kleiner Perversling«, tönte Miss Hare und zog damit vorschnell die häßlichste und aus Wilts Sicht am wenigsten wünschenswerte Schlußfolgerung. Miss Hare war wahrhaftig die allerletzte Person, die Wilt heimlich hätte beobachten wollen. Nur ein Perverser wäre dazu fähig gewesen. Doch war der Augenblick kaum geeignet, das kundzutun. »Ich habe nur nachgeschaut ...«, begann er, doch ganz offensichtlich hatte Miss Hare sein Späßchen von wegen Frankensteins Braut nicht vergessen.
    »Ihre Erklärungen können Sie sich für die Polizei aufsparen«, schrie sie und unterstrich ihre Worte, indem sie sein Gesicht erneut gegen die Kacheln knallte. Sie war – im Gegensatz zu Wilt – noch immer mit Hingabe bei der Sache, als sich die Tür auftat und Mrs. Stoley, eine Geographielehrerin hereinkam. »Diesen Voyeur habe ich auf frischer Tat ertappt«, erklärte Miss Hare. »Rufen Sie die Polizei.« Mit dem Gesicht zur Wand versuchte Wilt, die Sache aus seiner Perspektive darzustellen – ohne Erfolg. Mit Miss Hares wuchtigem Knie in seinem schmalen Rücken hatte er keine Chance, zumal ihm auch noch sein Stiftzahn herausfiel.
    »Aber das ist doch Mr. Wilt«, meinte Mrs. Stoley verunsichert.
    »Natürlich ist das Wilt. Und das hier sieht ihm verdammt ähnlich.«
    »Also ...«, begann Mrs. Stoley, die das nicht so ohne weiteres nachvollziehen konnte.
    »Um alles in der Welt, so gehen Sie doch schon endlich, sonst entwischt

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