Henry haut ab: Roman (German Edition)
liegt, ob nun hier auf dem Anwesen oder in der Nähe. Es fällt uns schwer, hier nicht irgendeine krumme Geschichte zu vermuten, wenn nicht gar einen Mordfall. Zum Allermindesten kriegen wir Sie wahrscheinlich dafür dran, dass Sie jemanden in ungeweihtem Boden begraben haben.«
Lady Clarissa sah extrem verwirrt aus; bisher hatte sie keinen Grund zu der Annahme gehabt, dass der Leichnam ihres Onkels sich irgendwo anders befand als im Pfarrhaus.
»Ich habe nichts dergleichen getan! Ich habe diesen verdammten Sarg ins Dorf geschickt. Wir begraben nur Familienmitglieder auf unserem Friedhof.«
»George, was geht hier vor? Wo ist Onkel Harold?«
»Sieht aus, als hätten Sie hier einiges zu erklären, Sir George. Dann lasse ich Sie jetzt allein – fürs Erste. Wir kommen zurück, um das Haus zu durchsuchen, wenn wir draußen fertig sind.«
Der Superintendent verließ den Raum, dicht gefolgt von den beiden verbliebenen Vierlingen. Draußen auf dem Rasen hatten die Spürhunde, beides Collie-Mischlinge, ein paar Besitztümer und alte Kleidungsstücke des Colonels fertig beschnüffelt. Als man sie von der Leine ließ, hätten die Hunde eigentlich in der Lage sein müssen, den toten Mann noch in einem Umkreis von dreißig Kilometern ausfindig zu machen, ganz zu schweigen von dem Anwesen. Doch zur Verwirrung der Hundeführer begannen sie im Kreis zu laufen; einer der Hund ging zuerst zu den vier Mädchen, die zusahen, und der andere rannte direkt auf den Wald zu. Die Polizisten sahen sehr verdutzt aus. Nach einer Weile zog der Hundeführer seinen Hund von den Mädchen weg und eilte seinem Kollegen nach. Die Vier sahen ziemlich mitgenommen aus, nahmen jedoch kurz darauf die Verfolgung auf.
Im Arbeitszimmer stellte Lady Clarissa derweil Sir George zur Rede. »Was soll um Himmels willen dieses ganze Gerede von einem Holzklotz voller Gewehrkugeln, der in einem Sarg gefunden worden sein soll? Und warum denkt der Superintendent, du hättest Onkel Harold etwas angetan?«
Doch Sir George hatte sich in seinen Sessel fallen lassen, zu erschöpft, um zu antworten. Er verstand überhaupt nichts mehr von dem, was hier vorging. Das Einzige, was er wusste, war, dass er bis über die Ohren in schrecklichen Schwierigkeiten steckte und die belastenden Umstände eindeutig gegen ihn sprachen.
Immer noch an den Baum gelehnt saß Wilt da und dachte an sein Gespräch mit Mrs. Bale am vergangenen Abend. Sie hatte ihm erzählt, wie wütend Sir George bei dem Gedanken gewesen war, dass die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl zurückkommen wollte, um das Haus und das Anwesen zu durchsuchen.
»Wer immer dieses Holzding in den Sarg gelegt hat, wusste, dass er einen Riesenkrach heraufbeschwören würde. Lady Clarissa dreht durch, wenn sie davon erfährt.«
»Das Verschwinden der Leiche ihres Onkels wird sie bestimmt zutiefst erschüttern.«
»Ach, im Leben nicht! Der Gedanke, das Vermögen von diesem fürchterlichen Gadsley zu verlieren, wenn er sich von ihr scheiden lässt, erschüttert sie bestimmt viel mehr. Sie hatten deswegen einen schrecklichen Streit, bevor die Polizei gekommen ist. Er hat ihr gedroht, ihr die Apanage zu kürzen und sie wegen Ehebruchs anzuklagen, und das wäre nun wirklich nicht schwer. Immerhin ist sie ja nicht jedes Wochenende nach Ipford gefahren, um ihren Onkel zu besuchen … Zufällig weiß ich, dass sie den alten Mann nicht einmal besonders mochte.«
Mrs. Bale hörte auf zu tratschen, während sie Tee aufsetzte. Wilt brach das Schweigen.
»Ich muss sagen, ich finde, dass Sir George ein außergewöhnlich furchtbarer Mensch ist. Da ist so viel unterdrückte Gewalttätigkeit in seinem Wesen, so etwas habe ich noch nie gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er als Friedensrichter ist. Verurteilt möchte ich jedenfalls nicht von ihm werden.«
»Jetzt verstehen Sie, warum er im Dorf verhasst ist. Der Mann ist ein Ungeheuer«, stimmte Mrs. Bale zu, während sie ihm seine Tasse Tee reichte. »Wobei die beiden sich da nichts nehmen, um ehrlich zu sein.«
»Was glauben Sie, wann wird er Clarissa sagen, dass die Leiche ihres Onkels verschwunden ist?«
»Nie, wenn er einigermaßen bei Trost ist. Hoffen wir, dass sie wieder auftaucht, bevor es noch schlimmer wird.«
Insgeheim hatte Wilt gedacht, dass es nicht viel schlimmer sein könnte, als vier schreckliche Töchter zu haben, die in der Schule randalierten und für die er den Rest seines Lebens verantwortlich sein würde – und von denen er sich leider nicht
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