Hera Lind
anzuschnallen …«
Das Klicken von zweihundert Sicherheitsgurten ging mit einem Aufschrei aus panischen Passagierkehlen einher. In derselben Sekunde war der Flieger gut zwanzig Meter tief in ein Luftloch gesackt. Wildfremde hielten sich plötzlich an den Händen.
»Anita? Bist du okay?«
Mein glatzköpfiger Kollege Markus, dessen Kopf so aussah wie ein riesengroßes hart gekochtes Ei, balancierte ein Tablett mit umgekippten Plastikbechern und konnte die Schweine rei gerade noch rechtzeitig in den blauen Abfallsack vor dem Cockpit kippen. »Und das an deinem ersten Arbeitstag, Liebelein!«
»Das bringt bestimmt Glück«, sagte ich lächelnd. Die winzigen weißen Haarstoppeln auf seinem Eierkopf sahen aus wie Salz aus dem Salzstreuer.
Wieder sackte das Flugzeug ab, und die Leute quietschten.
»Hach! Da kriegt man ja Lustgefühle im Unterbauch!« Markus klappte mir den Notsitz herunter und reichte mir den Gurt. »Liebelein, hast du denn gar keine Angst, sach mal?«
»Nein. Ich bin früher mit der Lufthansa Langstrecken geflogen.«
»Ojeee.« Markus zog einen bedauernden Flunsch. »Und jetzt bist du Saftschubse bei Ficki Airline?«
»Vicki Airline heißt das! Benannt nach diesem behinderten Mädchen, das mit seiner Klarinette bei den Paralympics in London sämtliche Nationalhymnen gespielt hat!«
»Das weiß ich doch, Liebelein!« Markus lachte über meine Naivität. »Dat happisch doch auch im Fernsehen gesehen! Ihr Vater war früher ein einfacher Bäckermeister. Von dem hab ich mal ein Interview gelesen. Er sagt, das Leben seiner Tochter wird verfilmt, und er selbst wird von George Clooney gespielt. Echt geschäftstüchtig, das Kerlchen! Ist mit den Preisgeldern seiner Vicki bei einem namhaften Getränkehersteller eingestiegen und hat ihm schließlich die Airline abgekauft.« Kichernd malte Markus mit Daumen und Zeigefinger den Werbeslogan unseres Billigfliegers in die Luft: »Wer nicht laufen kann, muss fliegen!«
Ich fand es schon ein bisschen krass, sein behindertes Kind auf so marktschreierische Weise zu vermarkten, aber mir sollte es recht sein: Seine Billigfluglinie brauchte neues Personal. So war ich an meinen Job gekommen. Und jetzt zu Beginn der Sommerferien war mein erster Arbeitstag.
Markus schaute besorgt zu mir herüber. »Hat dich die Lufthansa nicht mehr genommen, Schätzchen?«
»Nein. Ich bin über vierzig.«
»So siehst du aber gar nicht aus!« Mein schwuler Kollege schenkte mir einen anerkennenden Blick. »Für mich gehst du glatt als Mitte dreißig durch! Du könntest auch modeln!«
»Das habe ich früher auch gemacht. Jetzt sind meine Töchter dran.«
»Und? Kann dein Kerl dich nicht ernähren, dass du so schuften musst?«
»Bevor ich dich das Gleiche frage: Ich lasse mich gerade scheiden.«
»Oh, sorry, Süße, ich wollte nicht indiskret sein … Aber weißt du, ich bin einfach so noooigierig, wenn neue Kollegen kommen …«
»Macht doch nichts, Markus. Übrigens lerne ich demnächst etwas Anständiges. Ich studiere Psychologie!«
»Was? Echt? Wie sexy!« Markus schnallte sich wieder ab. »Süße, ich glaube, wir müssen wieder …War nett, mit dir zu plaudern!«
»Oje«, sagte ich, als ich die vielen Pfützen am Boden sah. »Ich wische die rechte Seite auf, und du übernimmst die linke.«
Die Passagiere klammerten sich immer noch panisch aneinander. Ich setzte eine betont ruhige Miene auf, ging durch die Reihen und tätschelte dem einen oder anderen beruhigend den Arm. »Es waren nur ein paar Luftlöcher. Bitte entspannen Sie sich.«
»Fräulein, hierher! Hier kotzt jemand!«
»Oh.« Ich zupfte beflissen ein paar Kotztüten aus dem Spender und eilte in die vorletzte Reihe, um dem jungen Mann zu helfen, der offensichtlich zu viel Wodka in unser Gratisgetränk gemischt hatte. Das war die unschöne Seite dieses Berufs. Markus tänzelte hyperaktiv zwischen den Passagieren herum und rief: »Schätzchen, hier ist Kaffee auf einem Damenschoß, dein Job!«
»Bitte bleiben Sie weiterhin angeschnallt. Es ist zu Ihrer eigenen Sicherheit …«
Ups! Jetzt ging das schon wieder los. Ein heftiger Ruck zog mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Meinen Notsitz erreichte ich nicht mehr. Ich landete neben einem dicklichen Mann mit Seitenscheitel, der einsam auf dem Mittelsitz saß.
»Entschuldigung.«
»Oh, nichts passiert.« Der Mittelsitzpassagier schaute kaum von seinem Laptop auf. »Sie können hier gern sitzen bleiben, bis die Turbulenzen vorbei sind.« Komisch, diese
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