Hera Lind
weg?« Ich zuckte zusammen.
»Nun ja, die Kobaliks haben ganze Arbeit geleistet. Ich wollte dich nicht beunruhigen, aber schau mal ins Internet! Alle Spitzenorchester in Europa wissen von meiner sogenannten ›Sexaffäre im Parkhaus‹ – und das vor den Augen Minderjähriger!«
»Aber das stimmt doch gar nicht …«
»Rufmord ist auch Mord.«
Ich starrte verzweifelt aus dem Fenster.
»Die Kobaliks wollten immer meine besten Freunde sein. Aber nachdem ich ihnen klargemacht habe, dass ich mich nicht von ihnen vereinnahmen lassen will …« Er zuckte die Achseln. »Bei Anita hatten sie leichtes Spiel. Sie haben es geschafft, sie auf ihre Seite zu ziehen. Ich habe sie einfach zu oft allein gelassen.«
Panik überfiel mich: Ich rannte freiwillig wieder in die Falle der Bevormundung zurück! War ich wie Anita? Hatte ich mein Leben komplett in fremde Hände gegeben?
Christian sprach weiter: »Und nachdem ihr Scheidungsanwalt fünftausend Euro pro Monat für sie und die Kinder verlangt, werde ich wohl ans andere Ende der Welt gehen müssen, um dieses Geld zu verdienen. Hier in Europa schaffe ich das nicht. Da müsste ich mich mit meiner Flöte unter eine Brücke setzen und den Hut aufstellen.« Ein trauriges Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Nur eine Silbe von mir, und er würde nicht gehen. Nur eine Silbe, und wir würden zurück in unsere warme gemütliche Hütte fahren und uns dort vor der Welt verkriechen. Aber das ging nicht. Meine Kinder brauchten mich. Mütter hauen nicht einfach ab. Christian schaltete die Nachrichten ein. Es war neun. Ich hörte nicht, was der Sprecher sagte. Ich schluckte an einem schmerzhaften Kloß, der einfach nicht kleiner werden wollte. Wir waren so nah dran gewesen an unserem Glück. So nah dran! Wegen eines Tischtennisturniers von Drittklässlern fuhr ich jetzt nach Hause. Damit mein Paulchen nicht allein dastand. Aber wenn es das nicht gewesen wäre, dann etwas anderes. Irgendwann wäre die nächste Träne, die nächste Schramme dran gewesen. Ich konnte nicht länger davonlaufen. Mein Selbstfindungsseminar war zu Ende.
Und? Hatte ich zu mir selbst gefunden? Oder hatte ich nur einen kurzen Blick in meine Seele geworfen, um mir die Tür dann selbst vor der Nase zuzuschlagen?
Lass den Mann ziehen und stell dich ihm nicht länger in den Weg!, meldete sich wieder meine Mutter zu Wort. Er wird eine erstklassige Frau finden, die zu ihm passt. Eine, die elegante High Heels trägt. Du warst nur ein kurzes Intermezzo für ihn. Und hör auf, Jürgen wehzutun! Das hat der Mann nicht verdient. Zu dir passt Jürgen. Wie solide Schnürschuhe. Finde dich damit ab!
»Wir schaffen es locker!«, sagte Christian nach langem Schweigen. »Mach dir keine Sorgen.«
Ich wusste, dass er den Flieger meinte, der um elf Uhr fünfzehn ab München ging. Und nicht das gemeinsame Leben, von dem ich in meiner grenzenlosen Naivität geträumt hatte. Zwei Tage und zwei Nächte hatten wir im verbotenen Paradies verbracht. Das hinter uns schon längst wieder zugeschneit war. Unsere Fußspuren waren getilgt worden, als wären wir nie da gewesen. Wie schön muss es dort erst im Sommer sein!, dachte ich. Vielleicht traue ich mich in den großen Ferien mit den Kindern hin. Sophie würde mir die Hütte bestimmt noch mal zur Verfügung stellen. Aber würde ich es ertragen können, ohne Christian da zu sein? Ich musste schon wieder weinen. Um zehn Uhr dreißig erreichten wir das Flughafengelände. Es wurde knapp, vielleicht würde ich den Flieger verpassen? Dann hätte das Schicksal für mich entschieden. Nein, zusammenreißen jetzt! Ich würde nach Hause fliegen. In zwei Stunden würde ich meinen kleinen Paul umarmen und es den anderen Tischtennisspielern zeigen. Auch meine Mädchen würde ich in zwei Stunden an mich drücken. Möglichst gefasst lief ich hinter Christian her, der meine Reisetasche trug. Er würde heute Abend in meiner unmittelbaren Nähe sein. Und doch unerreichbar weit weg. Christian reichte mir ein Päckchen Tempos, genau in der Sekunde, als ich an die Reihe kam.
»Frau von Thalgau? Haben Sie Gepäck?«
»Nur Handgepäck. Danke.« Ich schaute verschämt weg, damit die Dame vom Bodenpersonal meine Tränen nicht sah.
»Gate fünfzehn, das Einsteigen beginnt in fünf Minuten. Sie müssen sich beeilen!«
Wir eilten zur Sicherheitskontrolle.
»Okay.« Christian lächelte mich liebevoll an. »Viel Glück beim Tischtennisturnier. Du bist eine Gewinnerin, Lotta. Vergiss das nicht!«
»Ja.« Ein
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