Herbst - Ausklang (German Edition)
nicht alles schon?«, kam ein seltsamer Einwurf vom erschöpften, geknickten Hollis.
»Verdammt noch mal.« Howard seufzte. »Wie viele Male haben wir das versucht?«
»Ja, aber jetzt sind die Dinge anders«, entgegnete Lorna.
»Ach ja?«
»Zum einen steht mehr auf dem Spiel. Das ist unsere allerletzte Chance. Und die Leichen sind auch anders. Wir brauchen uns nicht mehr wie früher den Kopf über sie zu zerbrechen.«
»Und?«
»Wir brauchen uns also nur darauf zu konzentrieren, etwas zu finden, das groß genug ist, um nicht aus der Luft übersehen zu werden.«
»Das wird nicht funktionieren«, meinte Harte niedergeschlagen. »Hat Richard mir erzählt. Er hat gesagt, dass immer irgendwo irgendetwas brennt. Wir müssten die gesamte verdammte Ortschaft abfackeln, damit er uns bemerkt.«
»Dann tun wir das doch«, erwiderte Lorna, ohne zu überlegen. »Zünden wir den Ort an, wenn es sein muss. Denn da ist noch etwas, das ihr alle nicht bedenkt.«
»Und das wäre?«, fragte Michael.
»Diesmal weiß Richard, dass wir hier sind. Wenn er zurückkommt, dann schließlich deshalb, um nach uns zu suchen.
56
»Das hier«, sagte Kieran und blieb vor einem modernen Wohnblock an der Küste stehen. Das Gebäude bildete den Rand einer ziemlich neuen Siedlung unweit des Jachthafens. Wahrscheinlich war es während des letzten Immobilienbooms gebaut worden und dann halb leer geblieben, als die Immobilienblase kurz darauf geplatzt war. »Seht es euch an. Es ist perfekt. Direkt am Ufer, nicht weit von der Stadtmitte, und es ist riesig.«
Er hatte recht. Wenn sie ein Gebäude anzünden wollten, so bizarr es sich anhörte, dann war dieses hier genau das richtige dafür, dachte Michael. Die Siebenergruppe kauerte sich unter ein Betondach, das entlang einer Reihe kleiner Läden verlief und den Bürgersteig schützte.
»Und wann tun wir es?«, fragte Howard.
»Für heute ist es zu spät«, sagte Michael. »Es ist schon fast dunkel. Und wie erwähnt, Richard kann erst kommen, wenn sich das Wetter bessert.«
»Wir sollten bis morgen warten«, fand auch Lorna. »Sobald der Sturm vorbei ist, tun wir es.«
Das Gebäude, das sie für die Vernichtung vorgesehen hatten, schien der logische Ort zu sein, um darin die Nacht zu verbringen. Sie nahmen eine nett eingerichtete Wohnung im Erdgeschoss in Beschlag und freuten sich über die Gelegenheit, den widrigen Bedingungen draußen endlich die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sich ein wenig auszuruhen. Sie benutzten die Taschenlampen, um einige der Geschäfte in der Nähe zu erkunden, wo sie genug Lebensmittel und Getränke für den Abend fanden, außerdem trockene Kleider und weitere Lampen. Es schien seltsam zu sein, sich in einem Haus aufzuhalten, das sie zerstören wollten. Beinah surreal. Kieran fand, dass es sich wie ihre letzte Nacht auf Erden anfühlte.
Die Besitzerin der Wohnung fanden sie im Badezimmer, wo sie ausgestreckt und nackt in der Wanne der Duschkabine lag. Sie rührte sich zwar noch, konnte aber nicht heraus. Die Versuchung, sie einfach liegen zu lassen, war groß, doch irgendwie schien es falsch zu sein. Lorna hob sie hoch und wickelte ein weiches Handtuch um das, was vom Körper noch übrig war. In der Duschwanne blieb ein ekelhafter Schlick zurück – die Rückstände der Verwesung der jungen Frau. Haarsträhnen, Zähne, Fingernägel und andere unkenntliche Dinge ragten aus einem zentimetertiefen, halb getrockneten Brei zersetzten Gewebes.
Bevor sie die Tote aus der Wohnung entfernten, fand Lorna noch ein wenig mehr über sie heraus. Mittlerweile war sie praktisch mumifiziert, aber anhand von gerahmten Bildern im staubigen Wohnzimmer sahen sie, dass sie eine junge, außerordentlich attraktive Frau gewesen war, bevor sie im vergangenen September starb. Laut den EC-Karten, die Lorna in ihrer Brieftasche fand, hatte ihr Name Jenna Walker gelautet. Bizarrerweise fühlte es sich unangenehm an, die persönlichen Gegenstände der jungen Frau durchzusehen, solange sie sich noch in der Wohnung befand, doch es schien genauso falsch zu sein, sie als es zu betrachten und die Person zu ignorieren, die sie einst gewesen war.
Lorna versuchte, ihre Vergangenheit anhand der Hinweise zusammenzufügen, die sie in der Wohnung verstreut fand. Jenna war jung gestorben, nur wenige Jahre älter, als sie selbst war. Sie hatte in der Forschungsabteilung eines großen Ölkonzerns gearbeitet, der ein Stück die Küste hinunter ein Werk betrieb. Jenna war alleinstehend gewesen, aber nach
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