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Herbst - Ausklang (German Edition)

Herbst - Ausklang (German Edition)

Titel: Herbst - Ausklang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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fühlte er sich moralisch verpflichtet, einen Fahrerkollegen respektvoller als die anderen Kadaver zu behandeln. Driver kehrte zum Bus zurück, drückte die Türen zu und war endlich allein.
    Er schritt das lange Fahrzeug ab, wie er es früher zu Beginn jeder Schicht getan hatte, hob vereinzelte, fallen gelassene Fahrkarten auf und beugte sich vor, um die oberen Lüftungsfenster zu öffnen und Luft hereinzulassen. Anschließend nahm er seinen rechtmäßigen Platz hinter dem Lenkrad ein, mittlerweile beobachtet von einem Publikum aus acht Leichen, die sich draußen eingefunden hatten. Zwar war er erst vor wenigen Tagen zuletzt gefahren, trotzdem fühlte es sich gut an, sich wieder auf einem Fahrersitz niederzulassen: erhöht, geschützt, unantastbar. Er holte tief Luft, schloss die Augen und startete den Motor. Das Triebwerk ließ sich Zeit, rumorte und starb mehrmals wieder ab, aber letztlich blieb es an und brummte voll Leben.
    Driver machte es sich gemütlich, steckte seine Zeitung in die Lücke zwischen der Windschutzscheibe und dem Armaturenbrett und genoss die unverhoffte Vertrautheit der Bewegung. Er entspannte sich und stellte sich vor, wieder eine seiner alten Routen durch die Stadt zu fahren. Er wäre überall lieber als hier gewesen.

6
    Driver fühlte sich in seinem neuen Bus geschützt und angenehm abgekapselt von der toten Welt, durch die er rollte, wenngleich immer noch ziellos. Er fuhr weiter von Bromwell weg und musste die ganze Zeit seine Schuldgefühle hinunterschlucken, ständig gegen die beharrliche Stimme ankämpfen, die ihm sagte, er sollte die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Fortwährend musste er sich vorsagen, dass es keinen Sinn hatte, dass er den Versuch noch nicht riskieren konnte, die anderen zu holen. Falls es ihnen gelungen war, die Erstürmung des Hotels durch die Toten zu überleben und es in Sicherheit zu schaffen, würde sich ihre Lage nicht großartig ändern, solange sie genug Lebensmittel hatten, um eine Weile durchzuhalten. Es schien besser zu sein, zu warten, bis die Leichen keine so große Bedrohung mehr darstellten.
    Den Großteil der letzten rund 30 Jahre hatte Driver entweder Befehle entgegengenommen oder Fahrzeuge nach festen Zeitplänen von einem Ort zum anderen gelenkt. Heute fand er es besonders schwierig, ohne Ziel vor Augen herumzufahren. Ein paar schlechte Entscheidungen beim Abbiegen unter dem Druck der Toten, und bald hatte er Mühe, den Bus auf den schmalen Landstraßen in Bewegung zu halten, für die dieser urbane Fahrzeugtyp definitiv nicht gedacht war. Da sich weit und breit keine Möglichkeit zum Auftanken erkennen ließ und er dringend etwas brauchte, das man zumindest ansatzweise als Plan bezeichnen konnte, beschloss er, irgendwo zu parken, wo es abgelegen genug wäre, um in Sicherheit zu sein, aber nicht zu abgeschieden, um das Risiko einzugehen, dort festzusitzen. Spät am Nachmittag steuerte er den Bus durch die schmale Zufahrt eines Parkplatzes der Denkmalschutzbehörde in der Nähe einer Farm und der Ruinen eines alten Klosters in einem Tal zwischen zwei mittelgroßen Hügeln. Er wendete den Bus in weitem Bogen. Die Reifen knirschten über den Schotter. Schließlich stellte er das Fahrzeug am äußersten Rand des Parkplatzes ab, wo er einen Überblick über einen weitläufigen Streifen der Landschaft hatte.
    Eine Zeit lang saß er da und las wie üblich seine Zeitung. Es war eine instinktive Reaktion, die immer einsetzte, wenn die Stille zu laut wurde, um sie zu ertragen. Dieselbe alte Zeitung hatte er schon seit jenem Morgen im September, an dem die Welt den Bach runtergegangen war. Sie zu kaufen, war das Letzte gewesen, was er getan hatte, bevor die Menschen angefangen hatten, rings um ihn tot umzufallen. An jenem warmen, sonnigen Morgen war er wie gewöhnlich vom Busbahnhof abgefahren und hatte am selben Zeitungskiosk wie jeden Tag gehalten, um sich seine Zeitung, Kaffee, eine Flasche Wasser und ein Päckchen Kaugummi zu kaufen. Seither hatte diese Zeitung auf 74 zunehmend zerknitterten Seiten voll verschmierter Tinte eine gewaltige Bedeutung für ihn angenommen. Abgesehen von den offensichtlichen Verbindungen zu der Welt, die ihm entrissen worden war – den Geschichten über einst vertraute Menschen und Orte, verlogene Politiker und stumpfsinnige ›Promis‹, die Wettervorhersage, Sportmeldungen, Fotos einer mittlerweile verschwundenen Normalität –, roch das Papier sogar nach der alten Welt. Sie fühlte sich vertraut an und klang

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