Herbst - Beginn
Wut am ganzen Leib.
»Worin liegt das Problem?«, bohrte Michael nach.
Stuart rührte sich nicht.
»Wir sind wohl nicht gut genug für sie«, murmelte er schließlich.
»Was?«
»Dieses kleine Flittchen«, presste er hervor. »Hält sich wohl für etwas Besonderes, wie? Glaubt wohl, sie steht über uns.« Er schaute auf und deutete auf Jenny. »Sie denkt, sie ist die Einzige, die alles verloren hat.«
»Du redest Unsinn«, stellte Michael fest und setzte sich auf eine Bank neben Stuart. »Was soll denn das heißen?«
Stuart konnte – oder wollte – nicht antworten. Tränen der Frustration traten in seine müden Augen. Um Michael das Ausmaß seiner aufgestauten Gefühle nicht erkennen zu lassen, sprang er auf, stürmte aus dem Raum und warf die Tür hinter sich zu.
»Was sollte das denn?«, erkundigte sich Emma, als sie an Michael vorbei auf Jenny zuging, die mittlerweile auf dem Boden lag. Sie kauerte sich nieder und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ganz ruhig«, flüsterte sie. »Es ist alles in Ordnung.«
»Alles in Ordnung?«, schluchzte Jenny. »Wie kannst du sagen, dass alles in Ordnung ist? Wie kannst du nach allem, was geschehen ist, behaupten, alles sei in Ordnung?«
Kate James setzte sich neben die beiden. Emma umarmte Jenny und schaute zu Kate.
»Hast du gesehen, was passiert ist?«, fragte sie leise.
»Nicht richtig«, erwiderte Kate. »Erst haben die beiden nur geredet. Dass etwas nicht stimmte, habe ich erst bemerkt, als Stuart zu schreien anfing. In der einen Minute verhielt er sich noch ganz normal und ruhig, in der nächsten fiel er sie völlig außer sich an.«
»Warum?«
Kate zuckte mit den Schultern.
»Anscheinend hat sie ihm gesagt, dass ihr die Suppe nicht geschmeckt hat.«
»Was?«, fragte Emma ungläubig.
»Sie mochte die Suppe nicht, die er gekocht hat«, wiederholte Kate. »Ich bin sicher, das war alles, worum es ging.«
»Mann o Mann«, seufzte Emma und schüttelte resigniert den Kopf.
Carl betrat mit Jack Baynham den Saal. Nach kaum drei Schritten hielt er inne und spürte sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist denn los?«, fragte er vorsichtig, beinah so, als fürchtete er sich vor der Antwort. Es herrschte eine derart bedrückte Atmosphäre im Raum, dass er überzeugt war, es müsste sich etwas Schreckliches ereignet haben.
Michael schüttelte den Kopf.
»Gar nichts«, sagte er. »Hat sich alles erledigt.«
Carl schaute zu Emma hinab, die mit Jenny in den Armen auf dem Boden kauerte. Offensichtlich war sehr wohl etwas vorgefallen, doch was immer es gewesen sein mochte, es schien sich auf innerhalb des Saals beschränkt zu haben und gelöst worden zu sein, deshalb beschloss er, keine weiteren Fragen zu stellen. Er hatte ohnehin keine Lust, darin verwickelt zu werden. Es mochte selbstsüchtig und gefühllos von ihm sein, aber er wollte es eigentlich gar nicht wissen. Er hatte genug eigene Probleme und musste sich nicht auch noch mit denen anderer Leute befassen.
Michael dachte ähnlich, doch ihm war es unmöglich, so auf sich konzentriert und abgekapselt zu bleiben wie Carl. Als er aus einem anderen dunklen Winkel des Saals ein neues Weinen hörte, ging er hin, um nachzusehen. Er stellte fest, dass die Tränen von Anne Nelson und Jessica Short stammten, zwei der ältesten Überlebenden. Die beiden Damen kauerten gemeinsam unter einer Decke, hielten einander fest und bemühten sich, mit dem Schluchzen aufzuhören, durch das sie Aufmerksamkeit auf sich zogen. Michael setzte sich neben sie.
»Alles in Ordnung mit euch beiden?«, fragte er sinnloserweise, doch etwas anderes fiel ihm nicht ein.
Annie lächelte einen flüchtigen Augenblick, nickte und versuchte angestrengt, eine tapfere Miene aufzusetzen. Beiläufig wischte sie eine Träne ab, die ihr über die faltige Wange rann.
»Uns geht‘s gut, danke«, gab sie mit brüchiger Stimme zurück.
»Kann ich euch etwas holen?«
Annie schüttelte den Kopf.
»Nein, wir brauchen nichts«, sagte sie. »Ich denke, wir versuchen jetzt, ein wenig zu schlafen.«
Michael lächelte und legte die Hand auf die ihre. Dabei bemühte er sich, seine Sorge zu verbergen, aber ihre Hand fühlte sich beunruhigend kalt und zerbrechlich an. Die beiden taten ihm aufrichtig Leid. Ihm war aufgefallen, dass sie unzertrennlich schienen, seit sie im Gemeindezentrum eingetroffen waren. Jessica, so hatte er von Emma erfahren, war eine wohlhabende Witwe, die in einem großen Haus in einem der exklusivsten Viertel von Northwich
Weitere Kostenlose Bücher