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Herbst - Beginn

Herbst - Beginn

Titel: Herbst - Beginn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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dass er, obwohl fast die gesamte Bevölkerung tot war, immer noch instinktiv berücksichtigte, was die wenigen Überlebenden von ihm denken würden, statt sich selbst gegenüber ehrlich zu sein und seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Die Auswirkungen jahrelanger gesellschaftlicher Zwänge würden wohl mehr als ein paar Tage brauchen, um zu verblassen.
    »Schon in Ordnung«, seufzte er, als Michael sich ihm näherte. »Ich bin nur hier raufgeklettert, um eine Weile allein zu sein.«
    »Möchtest du, dass ich wieder reingehe?«, fragte Michael, der spürte, dass er unerwünscht war. »Wenn dir das lieber ist, dann –«
    Abermals schüttelte Carl langsam den Kopf.
    »Nein, ist schon gut.«
    Froh darüber, dass er Carl nicht störte (wenngleich nicht gänzlich davon überzeugt, dass er wirklich erwünscht war), stellte Michael sich neben Carl an den Rand des Daches.
    »Was um alles in der Welt geht bloß vor sich?«, fragte er mit so leiser Stimme, dass Carl ihn kaum zu hören vermochte.
    »Ich weiß es nicht«, murmelte der ebenso leise.
    »Gott, es ist alles so schnell gegangen«, murmelte Michael. »Noch vor ein paar Tagen war alles normal, aber jetzt ...«
    »Ich weiß«, seufzte Carl. »Ich weiß.«
    Eine Weile standen die beiden Männer schweigend da und beobachteten die Trostlosigkeit rings um sie. Ganz gleich, wie lange und eindringlich sie hinstarrten, sie konnten sich immer noch nicht mit den unzähligen Leichen abfinden, die mit dem Gesicht auf der kalten Erde lagen. Als noch schwieriger empfanden sie es, jene Mitleid erregenden Kreaturen zu akzeptieren, die sich inzwischen bewegten. Wie konnte dieser Albtraum geschehen?
    »Fast möchte man sie beneiden, was?«, meinte Carl.
    »Wen?«
    »Die Leichen, die noch auf dem Boden liegen. Diejenigen, die nicht aufgestanden sind. Ich muss immerzu daran denken, wie viel einfacher es wäre ...«
    »Das ist verflucht dummes Gerede«, zischte Michael.
    »Ach ja?«, fauchte Carl zornig zurück.
    In der betretenen Stille, die folgte, dachte Carl über seine Worte nach. Verdammt, wie niedergeschlagen und schicksalsergeben er sich inzwischen anhörte. Aber warum auch nicht? dachte er. Warum sollte es anders sein? Immerhin war sein Leben auf den Kopf gestellt worden; er hatte alles verloren. Nicht nur Besitztümer und sein Haus, sondern uneingeschränkt alles. Und wenn er an Sarah und Gemma dachte, die zusammen zu Hause im Bett lagen, wurde der Schmerz unerträglich. Waren sie überhaupt noch dort? Oder hatte diese Veränderung auch sie erfasst? Die Vorstellung, dass sein wunderschönes kleines Mädchen ziellos allein durch die dunklen Straßen wandeln könnte, war zu viel. Erfolglos versuchte er, die Tränen zu verbergen, die ihm ungezügelt über das abgehärmte Gesicht liefen.
    »Das wird schon wieder«, flüsterte Michael in einem kläglichen Versuch, ihn zu trösten, wenngleich er wusste, dass es unmöglich war.
    »Mir geht‘s gut«, erwiderte Carl schniefend. Allerdings war unbestreitbar offenkundig, dass er log.
    »Sicher?«, hakte sein Gefährte nach.
    Carl sah ihm ins Gesicht und rang sich den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln ab. Gerade wollte er mit der üblichen Floskel »Ja, alles in Ordnung« antworten, als er jäh davon absah. Es schien sinnlos, die Wahrheit zu verbergen.
    »Nein«, gestand er. »Nein, Kumpel, es geht mir überhaupt nicht gut ...«
    Unvermittelt brachte er kein weiteres Wort heraus und schluchzte stattdessen hemmungslos.
    »Mir auch nicht«, sagte Michael und wischte sich selbst Tränen der Verzweiflung und des Schmerzes aus den Augen.
    Die beiden Männer setzten sich an den Rand des Daches und ließen die Beine über die Kante baumeln. Michael streckte sich, gähnte und fuhr sich mit den Fingern durch das verfilzte Haar. Er fühlte sich schmutzig. Im Augenblick hätte er jeden Preis für die Möglichkeit bezahlt, sich in einem heißen Bad zu entspannen und anschließend die Nacht in einem gemütlichen Bett zu verbringen. Oder auch nur in einem ungemütlichen. In irgendetwas, das besser war, als eine harte Holzbank in einem kalten Holzgebäude.
    »Weißt du, was wir brauchen?«, fragte er.
    »Da fielen mir auf Anhieb tausende Dinge ein«, gab Carl zurück.
    »Lass mal alles Praktische und Abstrakte wie Wärme, Sicherheit, Antworten auf tausend Fragen und dergleichen beiseite. Weißt du, was ich mehr als alles andere bräuchte?«
    Carl zuckte mit den Schultern.
    »Nein, was?«
    Michael legte sich auf das Dach zurück und verschränkte die

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