Herbst - Beginn
überprüfen. Er wollte noch nicht hineingehen. Seit er die Entscheidung getroffen hatte, die Penn Farm zu verlassen, fühlte er sich den anderen nicht mehr zugehörig. Er war kein Bestandteil der Gemeinschaft mehr, was ihm den Eindruck vermittelte, dass er eigentlich gar nicht mehr hier sein sollte. Er fühlte sich allein und seltsam überflüssig. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Emma zu ihm herüberkam, und kurz verflog das Gefühl.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
Er stand auf. »Ja«, erwiderte er. »Bei dir?«
Sie nickte. Ihre Stimme klang müde und emotionslos. Carl spürte, dass sie mehr aus Pflichtgefühl als aus wirklichem Willen mit ihm redete.
»Hör mal«, setzte sie an. »Ich weiß, dass du gesagt hast, du wärst dir mit dieser Sache sicher, aber hast du auch berücksichtigt –«
»Ich will davon nichts hören«, herrschte er sie an und schnitt ihr den Satz ab.
»Du weißt doch gar nicht, was ich sagen will.«
»Ich kann es mir denken.«
Seufzend wandte sie sich ab. Nach kurzer Überlegung drehte sie sich zurück, fest entschlossen, ihre Bedenken anzubringen.
»Und du bist dir wirklich ganz sicher?«
»So sicher, wie ich mir momentan einer Sache sein kann.«
»Aber du gehst ein solches Risiko ein. Du musst nicht weg. Wir könnten doch noch eine Weile bleiben und irgendwann später gemeinsam in die Stadt zurückkehren, um die anderen herzuholen. Bis dahin sind es vielleicht sogar noch mehr geworden.«
»Ich muss weg. Es geht nicht mehr nur ums Überleben – überlebt habe ich bereits.«
»Warum gehst du dann?«
»Sieh dich doch mal um«, erwiderte er seufzend und deutete auf das Haus und die Barriere, die es umgab. »Reicht dir das hier? Bietet dir das all den Schutz und die Sicherheit, die du brauchst?«
»Ich denke, wir sind hier so sicher, wie es möglich ist.«
»Ich nicht. Herrgott, letzte Nacht waren wir umzingelt.«
»Ja, aber –«
»Beantworte mir eine Frage: Was würdest du tun, wenn diese Kreaturen die Barrikade überwinden und ins Haus gelangen?«
Emma rang um eine Antwort.
»Was würde geschehen? So wie ich das sehe, hättest du keine große Auswahl. Du könnest dich in ein Zimmer sperren und stillsitzen oder versuchen, zu einem der Autos zu gelangen, um so zu flüchten. Oder einfach wegrennen.«
»Zu Fuß wäre es aussichtslos.«
»Genau darauf will ich hinaus. Rings um dieses Haus ist meilenweit nichts. Man könnte nirgendwohin flüchten.«
»Wir müssen ja auch nicht flüchten«, protestierte Emma mit anschwellender Stimme.
»Es könnte sehr wohl notwendig werden. In der Stadt gibt es in jeder Straße hunderte Plätze zum Verstecken. Ich will nicht den Rest meiner Tage eingesperrt in diesem verfluchten Haus leben.«
Ernüchtert und frustriert setzte Emma sich auf die Stufen vor dem Haus. Michael war damit beschäftigt, die Vorräte aus dem Van zu laden. Er schien bereits sein Bestes zu tun, um Carl zu ignorieren.
»Ich mache mir nur Sorgen um dich, das ist alles«, meinte Emma schließlich leise. »Ich hoffe nur, dir ist klar, dass alles vorbei ist, wenn du alleine unterwegs bist und dir etwas zustößt.«
»Das weiß ich.«
»Und trotzdem bist du bereit, das Risiko einzugehen?«
»Ja«, gab er schlicht und endgültig zurück.
Carl lehnte sich gegen das Motorrad und musterte Emmas Züge eingehend. Es war das erste Mal seit Tagen, dass die beiden einigermaßen sinnvollen Kontakt miteinander pflegten. Während Emma in seine stumpfen, erschöpften Augen blickte, spürte sie, wie ihre Wut schmolz und zu etwas abklang, das an Mitleid erinnerte. Der Mann, der vor ihr stand, war nur noch eine Hülle. Er schien kaum noch die Hälfte des Menschen, der er gewesen war, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren. Carl hatte alles verloren, darunter auch jeden Sinn im Leben. Sie wusste, dass ihm eigentlich nichts mehr daran lag zu überleben. All sein Gerede darüber, eine sichere Zuflucht zu finden und andere Überlebende zu erreichen, war blanker Unsinn. Tief in ihrem Herzen spürte sie, dass er nur noch eines wollte: nach Hause zurückkehren.
34
»Du willst also heute Abend aufbrechen?«, fragte Michael.
Eine Stunde nach der Rückkehr aus Pennmyre befand Carl sich immer noch draußen, traf Vorbereitungen, tankte das Motorrad auf und belud es mit seinen wenigen Habseligkeiten. Er schaute zu Michael auf und nickte.
»Bringt nichts, es hinauszuzögern«, erwiderte er leise.
»Du bist sicher, dass du das Risiko eingehen willst?«
Er zuckte mit den
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