Herbst - Läuterung
herumgetrieben haben mochte, es war nichts, worüber man sich sorgen musste. Er blickte nach oben und fand sich Auge in Auge mit der grauenhaft entstellten Figur von etwas, das einst einen Lehrer oder einen Mitarbeiter in der Klasse dargestellt hatte. Der Körper, der so schwer verwest war, dass er nicht sagen konnte, ob es sich dabei um den eines Mannes oder einer Frau handelte, war über acht Wochen quer über seinen Tisch gespreizt gelegen. Was auch immer in dem Klassenzimmer nach Nahrung gesucht hatte, schien sich den Großteil davon aus dem Leichnam geholt zu haben. Das Gesicht war sowohl von der Seuche wie auch von scharfen Zähnen und Klauen zerfressen worden. Der gelblichweiße Schädel war teilweise kahl und geöffnet.
Vor Schreck stolperte Baxter, fiel rückwärts und riss einen Schrank um, der voller Schlaginstrumente war. Als die Triangel, Trommeln, Becken, Maracas und andere verschiedene Instrumente auf den Boden krachten, wurde die Schule von jähem, hässlichem Lärm erfüllt. Baxter, dem der kalte Schweiß auf der Stirn perlte und dessen Beine vor Nervosität schwer und schwach wurden, erstarrte auf der Stelle und wartete, bis der Lärm vorbei war.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Ruhe einkehrte. Dann drehte er sich um und rannte aus dem Raum. Er hielt nur an, um zurückzusehen, als sich eine Leiche wutentbrannt gegen das große Fenster am anderen Ende der Klasse warf und gegen das Glas hämmerte. Es war, als würde sie ihn direkt ansehen, und hinter ihr konnte er noch mindestens zwei weitere erkennen.
»Beschissener Idiot!«, fauchte ihn Donna an, als er sich mit einem heftig in seiner Brust rasenden Herzen die Treppen emporschleppte. »Haben Sie gesehen, was Sie getan haben?«
Baxter spähte aus dem Fenster im ersten Stock nach unten. Von allen Seiten näherten sich Leichen.
21
Richard Lawrence flog auf der Suche nach den verschollenen Überlebenden zurück in Richtung der dunklen Schatten Rowleys. Verdammte Idioten, dachte er bei sich, wie schwer konnte es für sie gewesen sein, zusammenzubleiben und das Flugfeld gemeinsam zu erreichen? Das ließ für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Das waren Leute, auf die er sich zu gegebener Zeit verlassen musste, und er fragte sich, wie ihm das möglich sein sollte, wenn sie es nicht einmal schafften, in einem Stück zum Flugplatz zu kommen ... Wenn er sich nicht ohnehin gerade in der Luft befunden hätte, würde er es nicht in Erwägung gezogen haben, in der Nacht noch einmal nach draußen zu gehen. Sie hätten bis zum Morgen abwarten können. Er hasste es, nachts zu fliegen.
Lawrences Flug – der seiner Meinung nach unnötig war – gestaltete sich zusätzlich durch die Anzahl der Beteiligten komplizierter. Der Helikopter war dazu vorgesehen, ein Höchstmaß von fünf Leuten zu transportieren – den Piloten und vier Passagiere. Als ob die Gefahren und Risiken, die er bereits damit einging, indem er in der Dunkelheit fliegen musste, nicht ausreichen würden, sah er sich nun zusätzlich mit dem Versuch konfrontiert, zu sechst in der Maschine auf den Flugplatz zu gelangen, was zu einem Problem werden konnte. Er hatte seine vorherigen Insassen – die ihm dabei geholfen hatten, das Eingangstor von den Leichen zu säubern – notwendigerweise an der Basis zurücklassen müssen und fühlte sich alleine im Helikopter, isolierter, ungeschützter und viel verwundbarer als sonst. Obgleich niemand sonst wusste, wie man die Maschine bediente, war er um der Sicherheit willen stets mit mindestens einer weiteren Person geflogen. Diese war da, um zu navigieren, ihm mit den Bedienungselementen zu helfen oder etwas anderes zu tun, damit er sich darauf konzentrieren konnte, die Maschine sicher in der Luft zu halten. In dieser Nacht würde er alles alleine machen müssen. Ihm war bewusst, dass er nur eine geringe Überlebenschance haben würde, falls dem Helikopter irgendetwas zustieß – entweder würden ihn der Unfall oder die Leichen töten. Ihm blieb nicht einmal der Trost einer Funkverbindung, denn der Strommangel am Flugplatz verhinderte dies. Lawrence war vollkommen auf sich alleine gestellt und verfluchte die Handvoll Idioten, die in der Stadt unter ihm abhandengekommen waren.
Wie gewissermaßen der gesamte Rest der Welt war Rowley ein toter Ort. Aus der Luft wirkte die Stadt wie ein geringfügig dunklerer Fleck einer bereits dunklen Landschaft. Sie klaffte wie eine formlose Wunde. Es fiel Lawrence schwer, mit Bestimmtheit zu sagen, wo die Stadt
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