Herbst - Stadt
gewaltigen Versammlung breitete sich über die gesamte Anhäufung wie eine Schockwelle aus. Es war zuvor bereits geschehen, als die Frau in den Tod gesprungen war. Er konnte sie von seinem Standpunkt aus beinahe erkennen. Die Ärmste, dachte er, doch ihm drängte sich der Gedanke auf, dass sie es dort, wo sie sich jetzt befand, besser hatte.
»Scheußliches Durcheinander, nicht wahr?» sprach ihn plötzlich eine unerwartete Stimme von hinten an. Jack drehte sich rasch um und erkannte Bernard Heath. Er bemerkte, dass Heath ein echtes Problem damit zu haben schien, alleine zu sein. Man konnte ihn oft dabei beobachten, wie er durch das Gebäude ging, um nach jemandem zu suchen, zu dem er sich gesellen konnte.
»Tut mir leid, Jack«, sprach Heath weiter. »Ich wollte Sie nicht stören. Ich habe Sie nur da stehen gesehen und wollte nachfragen, ob Sie ...«
»Mir geht’s gut, danke«, sagte Jack leise und schnitt ihm den Satz, da er die Frage vorhersehen konnte, ab.
Heath ging ein paar Schritte nach vorne und spähte auf die verrottete Horde hinunter.
»Ich schätze, dass dieses Pack früher oder später verschwinden wird«, sagte er mit einem unerwartet optimistischen Ton in der Stimme. »Sobald irgendwo anders etwas geschieht, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind sie weg.«
»Und was sollte das sein?«, fragte Jack. »Da draußen passiert nicht gerade sehr viel, nicht wahr?«
Heath gab keine Antwort.
»Ich werde Ihnen sagen, was mich fertigmacht«, sagte er stattdessen unerwartet offen mit leiser und müder Stimme. »Nämlich, wie langsam alles hier zu geschehen scheint. Ich meine, ich sitze da unten mit dem Rest von ihnen und niemand spricht. Ich schaue auf die Uhr und komme auf andere Gedanken. Das nächste Mal sehe ich wieder auf die Uhr und fühle mich, als wäre eine Ewigkeit vergangen, aber es ist nur ein paar Minuten später ...«
»Deswegen bin ich hier draußen«, murmelte Jack und starrte immer noch auf die dunkle Masse unter sich. »Ich saß nur in meinem Zimmer, starrte gegen die Wand und verlor meinen beschissenen Verstand.«
»Haben Sie versucht, etwas zu lesen?«
»Nein, und Sie?«
»Ja, habe ich«, antwortete Heath und kratzte sich auf einer Seite seines bärtigen Gesichts. »Ich hielt hier Vorlesungen ab. Vor ein paar Tagen ging ich in mein Büro und nahm ein paar Bücher mit. Brachte sie mit mir hier rauf und setzte mich hin, um zu lesen, aber ...«
»Aber was?«
»Konnte es nicht.«
»Warum?«
Er zuckte mit den Schultern und rieb seine Augen. Für einen Moment löste Jack seine Augen von den Leichen und starrte in das verhärmte und müde Gesicht des anderen Mannes.
»Keine Ahnung«, antwortete er langsam. »Ich konnte es einfach nicht. Ich versuchte, einen Roman zu lesen und schaffte ein paar Seiten, bis ich aufhören musste. Alles, was es mir brachte, war lediglich, dass ich wieder daran denken musste, was geschehen ist und was ich verloren habe und ...«
Er hörte auf zu sprechen, da er sich plötzlich unbeholfen fühlte und sich schämte, dass er seine Gefühle so bereitwillig zur Schau stellte.
»Also, was wird als Nächstes passieren?«, fragte Jack, der fühlte, wie Heath sich quälte und daher einen bewussten Versuch unternahm, das Hauptaugenmerk der Unterhaltung davon abzulenken, was sie verloren hatten und dorthin zu führen, wie es nun weitergehen sollte.
Heath tat für ein paar Augenblicke so, als würde er sorgfältig darüber nachdenken. Es war wirklich ohne Sinn und Zweck – er hatte den Großteil der vergangenen Woche damit verbracht, über endlose Variationen der Frage, die ihm gerade gestellt worden war, zu brüten und in der ganzen Zeit hatte er es nicht geschafft, irgendwelche Antworten darauf zu finden.
»Abwarten und Tee trinken«, meinte er schlussendlich.
»Das war’s?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendetwas anderes gibt, das wir tun könnten.«
Eine Zeit lang standen die zwei Männer schweigend nebeneinander und blickten auf die Überreste der kränkelnden, zerstörten Welt hinunter. Heath ging etliche Minuten später davon; Jack folgte bald seinem Beispiel und ging niedergeschlagen in sein Zimmer zurück. Er legte sich auf das Bett und versuchte zu schlafen. Schlaf war bislang der einzige Weg, mit dessen Hilfe es ihm gelang, dem Albtraum für eine Weile zu entrinnen.
Teil II
20
In der verwahrlosten, ausgestorbenen und verseuchten Stadt änderte sich nur wenig von einem auf den anderen Tag. Tausende Leichen fuhren fort,
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