Herbst - Stadt
nach, den Rückweg zum Stützpunkt einzuschlagen. Er erstellte im Geiste bereits grundlegende Pläne und traf Vorbereitungen, ehe ihm die Erkenntnis dämmerte, dass er überhaupt nicht dorthin zurückkehren musste, wenn er nicht wollte. Er hatte lediglich aus Pflichtbewusstsein und fehlgeleitetem Gehorsam, die ihm durch lange Jahre im Militärdienst eingeimpft worden war, daran gedacht, zurückzugehen. Ohne Zweifel hatten ihn die anderen Soldaten, die gestern mit ihm den Stützpunkt verlassen hatten, als tot abgeschrieben und die Offiziere würden sich mehr darüber wundern, wenn er es schaffte, den Weg zu ihnen zu finden, als wenn er im Kampf vermisst blieb. Plötzlich fand er sich in einer relativ glücklichen Lage wieder. Er war von den Beschränkungen des Militärlebens und den Grenzen des Bunkers befreit, und wie es schien, auch gegen die Krankheitserreger immun, die so ziemlich alles andere zerstört hatten. Was vom Rest der Welt übrig geblieben war, wartete nur darauf, von ihm erobert zu werden.
Eine Weile schwankte Cooper zwischen dem Gefühl der Freiheit und dem Pflichtbewusstsein, zu seinen Aufgaben zurückzukehren. Er blickte auf die Gasse hinter dem Fenster und beobachtete eine einsame, durchnässte Gestalt, die darauf stolpernd entlangtrippelte. Sollte er irgendetwas tun, um zu versuchen, hier zu helfen? Konnte er wirklich auf egoistische Art und Weise in der Ferne verschwinden und alles und jeden hier verrotten lassen? Das Ausmaß der Zerstörung brachte ihn schließlich zu der Überzeugung, dass er hier nichts tun konnte. Wie glaubte er denn auch, den Tausenden verseuchten Menschen möglicherweise helfen zu können? Es war erwiesen, dass es sich hierbei um eine globale Krise handelte. Selbst wenn er es schaffte, zum Stützpunkt zurückzukehren, was konnte eine Handvoll Soldaten schon tun, um Millionen toter und sterbender Bürger zu helfen? Er konnte von seinem Standpunkt aus deutlich erkennen, dass die Gesellschaft sowie die Zivilisation ebenso tot waren wie die Leichen, die immer noch mit dem Gesicht nach unten im Rinnstein lagen.
Da er sich plötzlich stärker und zuversichtlicher fühlte, entschloss sich Cooper dazu, zu gehen. Er wusste zwar nicht, was er jetzt tun oder wohin er gehen wollte, doch er war sich sicher, dass es irgendwo etwas Besseres gab als diesen unordentlichen, vollgestopften Lagerraum. Da er immer noch stark in seinem schweren Anzug (der ihn die Nacht hindurch warm gehalten hatte) schwitzte, streifte er ihn ab, nahm alle nützlichen Ausrüstungsgegenstände an sich und ließ ihn zu Boden fallen. Ihm war kalt und der plötzliche unangenehme Temperatursturz schleuderte ihn wieder in die Realität zurück und führte ihm das ungeheuerliche Ausmaß der Katastrophe, die über das Land hereingebrochen war, vor Augen. Eine Zeit lang erwog er, nach seinen Freunden und der Familie zu suchen, doch so sehr es ihn auch schmerzte, er wusste, dass es besser war, anzunehmen, dass sie bereits tot waren. Wenn er versuchte, sie zu finden, bestand die Möglichkeit, dass sie tot waren oder im Sterben lagen und er nichts tun konnte, um ihnen zu helfen. Dann wiederum dachte er sich, warum es ihnen nicht auch so ergangen sein sollte wie ihm, wenn er doch die Seuche anscheinend überlebt hatte? Vielleicht war ja seine Immunität an sein Erbgut gekoppelt? Es fühlte sich seltsam an, sich vorzustellen, dass er diesen Morgen möglicherweise nur deshalb erlebt hatte, weil ihm seine Eltern unwissentlich eine besondere DNA-Kombination vererbt hatten.
Er schob vorsichtig das Metallregal, das seinen Weg versperrte, zur Seite, schob vorsichtig die Türe auf und lugte in den Korridor, während er sein Schnellfeuergewehr vor sich hertrug. Er blickte rasch von rechts nach links und trat nach draußen in die Schatten, als er sich versichert hatte, dass der Weg frei war. Seine Tritte hallten laut auf dem Linoleumboden wider und bald darauf hörte er gedämpfte Laute in der Nähe. Irgendwo im Gebäude reagierte irgendwas auf seine Bewegungen.
Während er vorsichtig in Richtung des Stiegenhauses kroch, das er am vergangenen Tag benutzt hatte, ertappte sich Cooper dabei, an die anderen aus der Truppe zu denken, die mit ihm in die Stadt geschickt worden waren. Sollten sie es geschafft haben, in den Bunker zurückzukehren, dann wusste er genau, wo sie sich jetzt befanden – fest in die Dekontaminationskammer eingeschlossen. Und wie würden sie sich fühlen? Leer. Leblos. Sie hatten gesehen, in welchem Ausmaß die
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