Herbst - Stadt
besessen. Jetzt waren die Überreste grüngrau und abgestanden. In der tiefsten Stelle des Beckens trieb ein aufgedunsener Leichnam.
Nebenan befanden sich Gestalten. Er setzte sich wieder in Bewegung. Wenn er sich ihrem apathischen Tempo anpasste, so schien es ihm, dann zog er keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich. Diese Leute waren katatonisch – sie bewegten sich zwar, aber ohne zu denken oder auf etwas zu reagieren, außer auf die deutlichsten Anreize. Fallweise landeten Tauben mit einem plötzlichen Ausbruch unerwarteter Geräusche und Bewegungen auf dem Platz. Die Ankunft der plündernden Vögel brachte die Körper dazu, sich unbeholfen zu drehen und ohne Sinn und Zweck schlingernd in ihre Richtung zu taumeln.
Cooper fühlte sich eigenartig unbesiegbar. Seine Resistenz gegenüber der Seuche, dem Virus oder was es auch sein mochte, schien ihn von den menschlichen Überresten rund um ihn zu unterscheiden. Die Tatsache, dass er seine Geschwindigkeit und seine Bewegungen immer noch kontrollieren konnte, verlieh ihm einen unwiderlegbaren Vorteil, der beinahe wie ein unerwarteter Schutzschild oder eine Tarnkappe wirkte. Es war tatsächlich so, dass ihn die Leute nicht sehen konnten, ehe er sich nicht offensichtlich zu erkennen gab. Der einsame Soldat hatte gleichermaßen endlose wie auch seltsam eingeschränkte Möglichkeiten. In der Theorie hatte er den Rest der Welt zu seiner Verfügung und gleichzeitig war es jedoch nirgendwo sicher. Es gab zu vieles, das unbekannt und ungewiss war. Während er sich heute seiner anscheinenden Widerstandsfähigkeit und vergleichsweisen Stärke so sicher war, wie er sich nur sein konnte, war es durchaus möglich, dass morgen alles anders erschien. Er ließ sich von seinen Gedanken gefährlich ablenken, stolperte über eine der großen Betonstufen und ließ das Gewehr fallen. Es fiel mit einem lauten Klappern auf die Pflastersteine und die Stille zerbrach.
»Scheiße«, fluchte er, als er sich bückte, um die Waffe aufzuheben. Bevor er auch nur den Kopf wieder gehoben hatte, bemerkte er sie schon. Von allen Seiten strömten widerliche, verfallene Gestalten aus den Schatten in seine Richtung. Ein paar Sekunden lang konnte er sich nur hilflos umblicken und nach einem Ausweg aus dem ungeschützten öffentlichen Bereich suchen. Zu seiner Rechten schienen sich weniger Körper zu befinden, also rannte er dorthin los und bahnte sich an den wenigen Nächststehenden einen Weg vorbei. Er warf einen Blick über die Schulter zurück und sah, dass immer mehr der verdammten Dinger hinter ihm herschlurften. Ihre Geschwindigkeit stellte zwar kein Problem dar, ihre plötzlich wachsende Anzahl und die offensichtliche Zielstrebigkeit jedoch sehr wohl. Er musste damit kämpfen, seine wachsende Panik im Zaum zu halten.
Der Instinkt wollte ihn dazu zwingen, davonzulaufen, doch er wusste, dass seine Anwesenheit durch die Geräusche und Bewegungen verraten worden war. Es gab zu beiden Seiten Gebäude, doch Schwärme der Körper hinderten ihn daran, diese problemlos zu erreichen. Verzweifelt riss er die Tür einer Telefonzelle auf und bahnte sich seinen Weg nach innen. Während er die verrottenden Hände, die nach ihm packten, von sich stoßen musste, warf er die Tür ins Schloss und sank zu Boden. Als er mit dem Rücken gegen die eine Seite der Zelle gepresst saß und die Füße fest gegen die andere drückte, blickte er nach oben und betrachtete mit Abscheu, wie ein Körper nach dem anderen gegen die kleine gläserne Zelle krachte. In Sekundenschnelle befand er sich in beinahe absoluter Finsternis – das Licht wurde durch die Massen des verrottenden Fleisches, das sich gegen die Telefonzelle presste, ausgesperrt. Cooper ließ den Kopf sinken und schloss die Augen. Warte eine Zeit lang, dachte er, und sie werden verschwinden.
27
Michael erwachte mit einem Ruck. Es war kurz nach zehn Uhr morgens.
»Hör mal«, zischte er.
Emma stützte sich schlaftrunken auf die Ellenbogen.
»Was?«, murmelte sie.
»Hör zu«, zischte er wieder.
In der Ferne war ein Motorengeräusch zu hören, das sich rasch entfernte.
»Mehr von den Leuten, die wir gestern gehört haben«, sagte er, sprang aus dem Bett und mühte sich damit ab, in der Finsternis seine Kleidung zu finden und anzuziehen. »Ich muss raus und nachsehen, wohin sie unterwegs sind.«
»Wieso?«, fragte Emma.
»Dämliche Frage«, fauchte er. »Du weißt, wieso. Es sind Überlebende. Diese Leute könnten ...«
»Diese Leute fahren von hier
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