Herbst - Zerfall
Schlussfolgerung, war die Entscheidung, die sie treffen musste: wollte sie überleben, um die Dinge für jeden anderen leichter zu machen, oder wollte sie es für sich selbst? Ohne nachzudenken hatte sie auf dem Nachttisch eine symbolische Darstellung ihrer endgültigen Entscheidung aufgebaut. Auf der einen Seite standen eine Flasche Cognac und ein kitschiger Liebesroman und auf der anderen der Beutel mit den Medikamenten, die sie aus den Wohnungen mitgebracht hatte und die ausreichen würden, um ein Pferd zu töten.
Caron stand wieder auf und ging, müde, gereizt und unfähig, sich zu entspannen, zurück zum Fenster. Sie konnte nun Leute im Freien sehen. Howard Reece führte seinen Hund auf den überwucherten Grünflächen hinter dem Parkplatz aus. Sie konnte auch sehen, wie Harte und Jas durch die Fenster am Schwimmbecken und des neben dem Becken gelegenen Fitnessraums spähten, eine Außentür öffneten und dann im Inneren verschwanden. Es sah in der Tat so aus, als ob die anderen dabei waren, ihrer neuen Umgebung eine Chance zu geben. Ich werde dasselbe tun, entschied sie sich. Ich gebe dem Ganzen zwei Tage und sehe mir an, wie die Dinge stehen. Wenn es danach aussieht, dass alles funktioniert, trinke ich den Fusel weiterhin und lese die Bücher. Wenn ich den gleichen alten Schwierigkeiten gegenüberstehe, werde ich vermutlich wieder nachdenken müssen.
32
»Das Problem dabei ist«, seufzte Jas, »man braucht Energie, damit das meiste von dem Zeug irgendeinen Nutzen hat.«
Harte nickte und ging weiterhin rings um die Ansammlung von Fitnessgeräten am Rand des Beckens herum. Diese befanden sich gerade weit genug vom stehenden Wasser entfernt, um sich dem Ärgsten des beißenden Gestanks zu entziehen. Die beiden hatten erfolglos versucht, ihn dadurch zu vertreiben, dass sie einige der Außentüren offen stehen ließen. Im Sommer wäre dieser Ort durchaus nett gewesen, dachte er, als er ringsherum durch Staub und Spinnweben starrte. Er war nie ein großer Sportanhänger gewesen, doch die Aussicht darauf, mit seiner Zeit endlich etwas Konstruktives anfangen zu können, war verlockend. Vorausgesetzt, dass sie genügend Nahrung und Nährstoffe auftreiben konnten, um die Energie zu ersetzen, egal wie viel sie verbrauchten, während sie trainierten, lag der Nutzen, die Fitnessgeräte zu verwenden, klar auf der Hand. Die körperliche Betätigung würde es ihnen neben der Erhaltung oder, im Fall der meisten, der Erlangung ihrer Form zweifellos ermöglichen, einiges an Frustration abzulassen. Webb könnte seine »Therapiesitzungen« fortsetzen, ohne verwesende Leichen zusammentreiben und diese verprügeln zu müssen.
»Die Gewichte sind auch in Ordnung, oder?«, murmelte er. Jas blickte auf und nickte. Er hatte gerade den Staub von einem Bildschirm gewischt, der an einer Art Rudergerät befestigt war.
»Gewichte sind in Ordnung«, antwortete er. »Ich habe üblicherweise eine Menge Krafttraining gemacht. Ich kann dir ein paar Übungen zeigen, die was bringen.«
»Ich will am Ende nicht wie ein verdammter Bodybuilder aussehen«, wandte Harte unverzüglich ein. »Sobald man mit dem Training aufhört, verwandeln sich die ganzen Muskeln in Fett, nicht wahr?«
Jas grinste.
»Zuerst musst du die Muskeln mal kriegen, Kumpel!«, lachte er. »Hast du eine Ahnung, wie viel die essen mussten, um so zu werden? Und da gibt es Nahrungsmittel, durch die Masse aufgebaut werden kann und die Steroide und ...«
»Ich hab’s kapiert.«
»Wir müssen nur genügend tun, um uns lediglich für alle Fälle in Form zu halten.«
»Ich nehme dann mal an, dass die Möglichkeit besteht, dass es zu einem weiteren Kampf kommt, was meinst du?«
Jas zuckte die Achseln.
»Wäre möglich. Wenn es nicht die Leichen sind, dann gibt es hier drin ein paar Leute, die danach aussehen, als würden sie etwas lostreten wollen.«
»Wie beispielsweise?«
»So wie etwa Webb.«
»Ach, er«, murmelte Harte. »Es braucht nicht viel Aufwand, um ihn im Zaum zu halten. Der Junge ist ein verdammter Idiot. Wenn du ihn laut genug anschreist, kannst du sehen, wie seine Lippen anfangen zu zittern. Ich sage dir, Kumpel, als ich noch im Schuldienst war, bin ich Hunderten Kindern begegnet, die wie Webb waren. Die reden nur und tun nichts. Er ist keine Gefahr.«
»Bist du da sicher?«
»So sicher, wie ich nur sein kann.«
»Und wie sicher ist das?«
Harte antwortete nicht, sondern begann sich stattdessen ein weiteres Stück der Fitnessgeräte anzusehen. Es glich
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