Herbstbringer (German Edition)
Mutter blickte zu Boden, eine Hand am Mund. Vater blickte sie direkt an. Wie immer lag in seinem Blick nichts als jene kühle Härte, die sie schon so oft zu durchbrechen versucht hatte.
Hatte sie es ihm wenigstens diesmal recht gemacht?
»Wurde auch Zeit«, knurrte er und stürmte ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei.
Erst als sie eine Tür ins Schloss fallen hörte, wagte sie es, ihrer Mutter einen flehenden Blick zuzuwerfen.
»Was habe ich getan?«
Bei diesen Worten schien die Starre von ihrer Mutter abzufallen. Sie eilte zu ihrer Tochter und schloss sie in die Arme, als wollte sie sie beschützen.
Aber vor was? Vor sich selbst?
»Levana, mein Kind«, sagte sie mit zitternder Stimme. Levana war bestürzt, Tränen in den Augen ihrer Mutter glitzern zu sehen. »Du hast getan, was du tun musstest.«
Sie presste sich fest an ihre Mutter und weinte hemmungslos. Ihr war speiübel. Sie ekelte sich vor sich selbst, vor all dem Blut, vor der toten Frau im Gras, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
»Aber wieso?«, brachte sie zwischen schmerzhaften Krämpfen hervor.
»Weil es keinen anderen Weg gibt. Gräme dich nicht wegen dem, was geschehen ist. Uns bleibt keine Wahl.«
Unter den beruhigenden Gesten ihrer Mutter kam sie langsam zur Ruhe. Zögerlich kehrte die Erinnerung zurück. Ihr Vater hatte sie schon lange dazu gedrängt, endlich ihre Taufe zu vollziehen – ihren ersten Mord zu begehen und das Blut eines Menschen zu trinken. Anfangs hatte es ihre Mutter erfolgreich hinauszögern und ihre charakterliche Erziehung in den Vordergrund stellen können, doch schon vor einigen Monaten war sich Levana sicher gewesen, dass er nicht viel länger warten würde.
Als es schließlich so weit war, wurde sie dennoch davon überrumpelt.
»Sie ist wertlos, solange sie kein richtiger Vampir ist«, hatte sie ihren Vater oft keifen hören, wenn ihre Mutter die Taufe hinauszögern wollte.
Nicht unbedingt das, was eine Tochter gern von ihrem Vater hört.
Ihre Hoffnung, dass er sie nach dieser Bluttaufe endlich wie eine Tochter behandeln würde, hatte sich soeben zerschlagen.
Sie war getauft. Doch für ihren Vater nach wie vor Luft.
»Nun komm, wir gehen dich waschen«, sagte ihre Mutter sanft und half ihr auf die Füße. Das Blut gerann langsam, ihre Bluse klebte feucht und kalt an ihrem Körper. Übelkeit brandete in Wellen durch sie hindurch, auf dem kurzen Weg zurück in das große Haus musste sie sich mehrmals übergeben.
»Das wird gleich vorüber sein«, sprach die Mutter ihr Mut zu, als sie ihr die breite Treppe zum Eingang hinaufhalf. Dabei war die Übelkeit gar nicht das Schlimmste. Auch das Blut konnte sie verdrängen. Schon jetzt wusste sie aber, dass sie auf ewig von diesen schreckerstarrten Augen verfolgt werden würde.
Ihre Mutter führte sie in eines der Badezimmer. »Ich habe ein Bad bereiten lassen«, murmelte sie ihr zu. Levana nickte nur, zog sich aus und kauerte sich in der freistehenden Wanne zusammen. Während ihre Mutter sanft das Blut von ihrem Körper wusch, summte sie ein Lied, von dem Levana wusste, dass es zu Ehren ihrer Geburt geschrieben worden war.
Ihr ganzes Leben hatte man ihr gesagt, wie wichtig und besonders sie sei, und doch fühlte sie eine tiefe Scham für sich und ihresgleichen. Fünfzehn Jahre lang hatte man gewartet, bis ihrer Unschuld ein Ende gesetzt wurde. Wie sollte sie nur ein weiteres Jahr mit dieser Scham, diesem Ekel vor sich selbst leben können?
»Wie alt warst du, Mutter?«
Sie spürte, wie ihre Mutter mit dem Waschen innehielt. Eine Zeit lang schwieg sie, und gerade, als Levana sich für diese Frage entschuldigen wollte, antwortete sie doch. »Ich war siebzehn. Es war ein junger Mann, den ich zuvor ein oder zwei Mal im Dorf gesehen hatte.«
»Denkst du noch daran?«
»Ja«, hauchte ihre Mutter nach einer weiteren langen Pause. »Jeden einzelnen Tag.«
Levana drehte sich um. Für sie war ihre Mutter stets die schönste Frau gewesen, die sie jemals gesehen hatte. Sie wusste, dass die Taufe ihrer Mutter bereits viele Jahrhunderte zurücklag, und dennoch hatte das Alter bislang einen großen Bogen um sie gemacht.
Das würde es ab sofort auch bei ihr tun.
Dabei war das, was die Vampire überheblich als Unsterblichkeit anpriesen, in Wirklichkeit ein unnatürlich verlangsamter Alterungsprozess, der noch dazu davon abhängig war, wie gut man mit der scheinbar endlosen Zeit zurechtkam.
»Und ohne Taufe sind wir sterblich wie Menschen?«
»Sch«, machte ihre Mutter
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