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Herbstbringer (German Edition)

Herbstbringer (German Edition)

Titel: Herbstbringer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Björn Springorum
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erschüttert war. Von ihrem Ausflug würde sie ihm deswegen nichts erzählen. Für den Moment gab sie sich damit zufrieden, dass sie nun das Geheimnis ihrer Stärke kannte.
    Wer hätte das gedacht.
    Sie blieb stehen. Möglichst unauffällig blickte sie sich um. Es fiel ihr schwer zu spüren, ob jemand in der Menge um sie herum ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein wenig fühlte sie sich noch immer, als hätte sie etwas aus dem Schlaf gerissen.
    Nein, ihr war wohl kein Vampir gefolgt.
    Unsicher setzte sie ihren Weg fort. Das Gefühl der Anspannung verstärkte sich mit jedem weiteren Schritt, den sie in Richtung der Haltestelle machte. In Sichtweite der Treppen, die sie unter die Erde führten, war das Gefühl der Anspannung zu panischer Angst geworden, die in ihrem Magen festsaß und ihre Schritte lähmte.
    So etwas hatte sie noch nie zuvor gespürt.
    Sie blickte die Stufen hinab. Der Gedanke, dort hinunterzumüssen, widerstrebte ihr zutiefst. Etwas in ihr schrie, sie sollte sofort abhauen.
    Diesmal nicht! Sie war schon zu oft weggelaufen.
    Beherzt ging sie die ersten drei Stufen hinab, die linke Hand fest an das Geländer geklammert. Es war eiskalt.
    Hier, an einem der kleineren Seitenausgänge, herrschte nicht allzu viel Betrieb. Ein quengelnder Junge an der Hand seiner Mutter, ein Touristenpärchen mit Harrods-Tüten und Koffern, ein Alter, der mit Hut, Mantel und Gehstock direkt aus dem letzten Jahrhundert ins verblassende Tageslicht emporzusteigen schien – keiner von ihnen kam Emily verdächtig vor.
    Wieder nahm sie vier Stufen.
    Noch drei weitere, dann um die Ecke, und schon würde sie vor der unscheinbaren, mit Konzertplakaten vollgeklebten Tür stehen, aus der sie am Morgen gekommen war.
    Noch eine Stufe.
    Dann spürte sie es.
    Schwarzer Nebel stieg an den Rändern ihrer Wahrnehmung auf, verschluckte alle Geräusche und tauchte die Umgebung in tiefste Nacht.
    Sie konnte sich nicht mehr rühren.
    Wie angewurzelt stand sie da, die linke Hand noch immer um das Geländer geklammert, und sah, wie sich etwas aus dem Schwarz vor ihr herausschälte, das noch dunkler war als die Schatten selbst.
    Und dann wusste wie, was ihr gegenüberstand.
    Zweimal schon war sie diesen Kreaturen begegnet. Beide Male hatte Elias sie vor ihnen gerettet. Und sie wusste noch immer nicht, weshalb.
    Doch diesmal war sie auf sich allein gestellt. Mit aller Kraft konzentrierte sie sich auf die Schatten. Es war eindeutig das gleiche Gefühl, das sie bei ihrem Schulausflug in London und bei ihrem nächtlichen Treffen mit Elias gespürt hatte.
    Sie würde sich nicht in die Knie zwingen lassen. Vielleicht konnte sie ihnen noch nichts entgegensetzen. Aus eigener Kraft zu fliehen und ihnen den Festschmaus zu verderben, würde für den Anfang jedoch genügen.
    Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte die Stufen hinauf, ohne sich umzublicken. War das ein zorniges Zischen? Griff einer der tentakelartigen Schattenarme nach ihr? Sie drehte sich nicht um, um nachzusehen, schoss die Treppe hinauf in die Dämmerung und hörte nicht auf zu rennen, bis sie die belebten Straßen Camdens erreicht hatte.
    Ohne darauf zu achten, wohin ihre hastigen Schritte sie geführt hatten, fand sie sich unvermittelt vor dem World’s End wieder. Wie sollte sie jetzt zurück zu Elias finden?
    Zeit zum Verschnaufen blieb ihr nicht. Eine Hand packte sie an der Schulter, dann wurde sie von einer vermummten Gestalt ins Innere des schummrigen Pubs gezogen. Zu verdutzt, um Widerstand zu leisten, wurde sie vorbei an der Bar und hinein in diesen verhassten Geheimgang geschleift, den sie eigentlich nie wieder hatte betreten wollen.

    Hasserfüllt verließ Nosophoros die Regent’s Park Station und zog sich in die verschütteten Katakomben tief unter der Erde zurück. Es erstaunte ihn, dass ihn der Herbstbringer derart früh gewittert hatte. Noch mehr erstaunte ihn allerdings, dass sich das Mädchen als widerstandsfähig genug erwiesen hatte, um einfach wegzulaufen.
    Feige zwar, dennoch stärker als vermutet.
    Welche Stärke auch immer den Herbstbringer die Rebellion hatte überstehen lassen, sie floss nach wie vor durch die Venen dieser verfluchten Kreatur.
    Nosophoros durchquerte eingestürzte Gänge, passierte stillgelegte Schienen und durchwatete unterirdische Bäche voller Unrat, während sich ein beunruhigender Gedanke in seinem vergifteten Verstand formte.
    Der Herbstbringer wurde stärker.
    Unter tropfenden Rohren, vor fliehenden Ratten, durch längst vergessene Stollen

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